Bild nicht mehr verfügbar.

Der VW-Konzern steckt in einer tiefen Krise, ihm droht in den USA eine Milliardenstrafe wegen Manipulationen.

Foto: ap / jensen

Wolfsburg – Der neue Volkswagen-Chef Matthias Müller verpasst dem Wolfsburger Auto-Imperium eine Generalüberholung. Der Aufsichtsrat beschloss am Freitag, den wegen des Abgas-Skandals angeschlagenen Konzern mit seinen zwölf Marken neu zu gliedern. Dabei sollen die einzelnen Marken mehr Verantwortung bekommen. Bisher wurde vieles zentral in Wolfsburg entschieden.

Vor allem in den USA war dies ein Problem. Dort war nicht nur der Abgas-Skandal aufgeflogen, auf dem nach China weltweit zweitwichtigsten Pkw-Markt fährt Volkswagen (VW) zudem wegen einer verfehlten Modellpolitik schon länger der Konkurrenz hinterher.

"Schonungslose Aufklärung"

Bevor Müller die Feinheiten des Umbaus angehen kann, muss er jedoch die Scherben aus dem Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte zusammenkehren und das angekratzte Ansehen von VW aufpolieren. Müller sagte, er werde alles tun, um Vertrauen zurückzugewinnen und kündigte "schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz" an. "Entscheidend ist, dass so etwas bei Volkswagen nie mehr passiert." Deswegen werde er strengere Regeln zur Unternehmensführung einführen. Wie VW mitteilte wurden mehrere Manager wegen des Skandals beurlaubt, Namen nannte der Konzern allerdings nicht.

Mit dem Machtwechsel – am Mittwoch war der langjährige VW-Chef Martin Winterkorn zurückgetreten – schließt Volkswagen auch ein Stück weit Frieden mit dem im Groll ausgeschiedenen Firmenpatriarchen Ferdinand Piech. Der hatte schon im Frühjahr Winterkorn durch Müller ablösen wollen, war damit aber am Widerstand im engeren Führungszirkel gescheitert.

Bisheriger Produktionsvorstand wird Porsche-Boss

Die Nachfolge Müllers beim Sportwagen-Hersteller Porsche ist bereits so gut wie entschieden: Offiziell steht der neue VW-Chef zwar zunächst weiterhin auch an der Spitze von Porsche. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) aus Konzernkreisen erfuhr, steht aber der bisherige Produktionsvorstand Oliver Blume (47) bereits de facto als neuer Firmenlenker fest. Aus formalen Gründen wurde diese Personalie nicht schon am Freitag geklärt, schließlich muss der Aufsichtsrat der VW-Tochter Porsche AG dies beschließen. Dieses Gremium soll in der kommenden Woche in Stuttgart zusammenkommen.

Unterdessen weitet sich der Skandal immer weiter aus: Nach Angaben von Deutschlands Verkehrsminister Alexander Dobrindt sind in der Bundesrepublik mindestens 2,8 Millionen Autos mit manipulierten Abgassystemen unterwegs. Dies betreffe die 1,6-Liter und 2,0-Liter-Motoren, sagte der CSU-Politiker am Freitag im Deutschen Bundestag. Neben Pkw seien auch leichte Nutzfahrzeuge so auf den Straßen. In der Schweiz bereiten die Behörden die Rücknahme der Zulassung von VW-Fahrzeugen vor, bis Klarheit herrscht, bei welchen Typen Abgaswerte manipuliert wurden. Dort könnten 180.000 Fahrzeuge betroffen sein. Die Zahlen zu Österreich sind noch unbekannt.

Wie viel der in den USA aufgedeckte Betrug neben dem immensen Imageschaden den Konzern kosten wird, ist noch nicht absehbar. VW hatte nach internen Untersuchungen bekannt gegeben, dass weltweit bis zu elf Millionen Fahrzeuge mit der umstrittenen Software ausgestattet seien. Alleine von der Marke VW sollen es fünf Millionen Pkw sein, wie das Unternehmen nun mitteilte.

Weitere Ermittlungen in den USA

Inzwischen nehmen auch die Ermittlungen in den USA immer größere Dimensionen an. Dutzende Klagen sollen bei einem US-Bundesgericht in Kalifornien zusammengefasst werden. Das US-Justizministerium ermittelt ebenfalls. Das Geschäft in den USA fasst Volkswagen mit Mexiko und Kanada zu einer neu geschaffenen Region Nordamerika zusammen. Die Leitung übernimmt Anfang November der bisherige Skoda-Chef Winfried Vahland. In den USA behält überraschend Michael Horn seinen Chefposten. Dort stoppte Volkswagen inzwischen seine Werbung für "saubere Diesel"-Autos.

Investoren reagierten gespalten auf die Berufung Müllers zum neuen VW-Chef. Henning Gebhardt, Aktienchef der Deutsche-Bank-Vermögensverwaltung, sagte, das Unternehmen habe eine Chance verpasst: "Er wird das Unternehmen alleine aufgrund seines Alters nicht zehn Jahre lang führen können. In absehbarer Zeit wird es wieder zu Nachfolgediskussionen kommen." Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment sagte, Müller müsse nun die volle Unterstützung vom Aufsichtsrat bekommen, "damit er den desaströsen Vorgang aufklären und endlich die verkrusteten Strukturen bei VW aufbrechen kann. Dabei darf es keine Tabus geben."

Unklare Auswirkungen auf Automarkt

Vor den Werkstoren in Wolfsburg war die Stimmung am Freitag gedrückt. "Ich hoffe, dass wir das Schlimmste jetzt hinter uns haben", sagte eine Mitarbeiterin der Umweltschutz-Abteilung. Ein Kollege von der Projektplanung erklärte, Müller sei eine gute Wahl. "Wir brauchen jetzt frischen Wind, deshalb ist der Machtwechsel wichtig", sagte er. Er befürchte, dass durch den Skandal Arbeitsplätze nicht nur bei VW, sondern in der gesamten deutschen Automobilindustrie in Gefahr seien.

Der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, warnte zum Abschluss der Automesse IAA in Frankfurt einmal mehr davor, wegen des Skandals alle Dieselautos zu verteufeln. "Es handelt sich bei diesem Vorgang in den USA, den wir sehr bedauern, nicht um ein prinzipielles Diesel-Problem." Die Internet-Anzeigenbörse AutoScout24 stellte bisher keine Auswirkungen auf Angebot oder Preise von VW-Diesel-Autos fest.

Wegen des Abgas-Skandals kauft die Europäische Zentralbank (EZB) vorerst keine Autokredit-Verbriefungen von VW mehr. Es gebe zunächst eine Überprüfung, bevor endgültig entschieden werde, ob die VW-Schuldverschreibungen (ABS) aus dem Wertpapier-Ankauf-Programm der EZB ausgeschlossen würden, sagte eine mit der Sache vertraute Person am Freitag.

Porsche baut VW-Beteiligung aus

Mitten in der Abgasaffäre baut indes die Porsche Automobil Holding ihre Beteiligung an Volkswagen aus. Außerbörslich habe man dem japanischen Autokonzern Suzuki Motor 1,5 Prozent der Stammaktien abgekauft, teilte Porsche am Samstag mit. Dadurch steige der Anteil an Volkswagen auf 52,2 Prozent der Stammaktien und am gezeichneten Kapital auf 32,4 Prozent. Porsche machte keine Angaben zum Kaufpreis. Die Volkswagen-Aktie war am Freitag bei 107,30 Euro aus dem Handel gegangen. (APA/Reuters, 26.9.2015)