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Bekanntes Sujet mit neuem Protagonisten: Noch nie sprach ein Papst vor dem US-Kongress. Franziskus war am Donnerstag der Erste.

Foto: EPA/JIM LO SCALZO

Der Papst spricht von Großmut und Nächstenliebe und der Offenheit gegenüber dem Unbekannten. Er sei froh, sagt er, dass Amerika noch immer ein Land der Träume sei. Mit den Worten des "Star-Spangled Banner", der Hymne, spricht er vom Land der Freien und Tapferen, was natürlich die patriotische Seele anrührt und postwendend mit stehenden Ovationen belohnt wird. Auch als er an die Instinkte der Einwanderernation appelliert, weiß er das Parlament geschlossen hinter sich. "Wir haben keine Angst vor Fremden, weil die meisten von uns selber einmal Fremde waren."

Standing Ovations, so kennt man es aus dem Kongress, wenn der Präsident vor beiden Kammern spricht, um die Lage der Nation zu skizzieren. Sobald aber der Staatschef kontroverse Themen berührt, geht optisch ein Riss durch den Saal. Die einen erheben sich jubelnd von den Plätzen, die anderen bleiben sitzen wie festgeklebt. Doch beim Papst? Nein, auch bei ihm machen sie keine Ausnahme, die beiden großen, momentan ziemlich verfeindeten Lager der US-Politik.

Umweltpolitik

Gegen Ende seiner Rede, der ersten überhaupt, die ein Kirchenoberhaupt auf Capitol Hill hält, erinnert Franziskus an seine Enzyklika "Laudato Si". Er habe darauf hingewiesen, dass menschliches Handeln der Umwelt schade, er sei überzeugt davon, dass der Mensch einen Unterschied mache, sagt er, und diesmal gilt das mit dem Riss auch für ihn. Eisiges Schweigen auf den Bänken der Konservativen, donnernder Applaus von denen der Demokraten.

Als er für ein Ende der Todesstrafe eintritt und betont, dass gerechte Bestrafung immer auch ein Element der Hoffnung und das Ziel der Rehabilitierung beinhalten müsse, fallen die Reaktionen ähnlich aus. Schließlich ein Plädoyer für die Immigranten, die, oft ohne gültige Papiere, über die Grenze aus Mexiko kommen – und im Übrigen den Abwärtstrend der katholischen Kirche in "God’s Own Country" stoppen.

Während Europa die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg erlebe, sagt der Papst, strebten auch auf dem amerikanischen Kontinent Tausende gen Norden, um nach einem besseren Leben zu suchen. "Ist es nicht genau das, was wir für unsere Kinder wollen? Wir dürfen nicht fassungslos auf die Zahlen starren, wir müssen ihnen als Personen begegnen, ihre Gesichter anschauen und ihre Geschichten anhören."

"Obamas Papst"

Prominente Republikaner haben Franziskus vorab zu verstehen gegeben, er wäre besser beraten, sich aufs Religiöse zu beschränken, statt Weltliches wie Klimawandel oder Einwanderungsreform anzuschneiden. Manche nannten ihn gar "Obamas Papst", scheint ihn doch inhaltlich mehr mit der Demokratischen Partei des Präsidenten zu verbinden als mit der "Grand Old Party", die in der Legislative die Mehrheit bildet. So gesehen ist es für Franziskus ein Gang in die Höhle des Löwen, auch wenn das natürlich keiner so sagen würde.

Schon gar nicht John Boehner, der Speaker, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, für den sich mit dem Besuch ein Traum erfüllt, den er vor über zwei Jahrzehnten zu träumen begann. 1994, damals war Johannes Paul II. Papst und Boehner ein aufstrebender Abgeordneter aus Ohio, brachte er den damaligen Speaker dazu, erstmals einen Pontifex in den Kongress einzuladen. Ohne Erfolg.

Als er die Offerte im März 2014 höchstpersönlich wiederholte, war er nach eigenen Worten selbst überrascht, dass der Vatikan Zustimmung signalisierte. "Für einen kleinen katholischen Jungen wie mich ist das ein Riesending", twitterte Boehner, bevor eine Fernsehkamera einfing, wie er am Morgen auf den prominenten Gast wartete – nervös wie ein Chorknabe.

"Mist des Teufels"

Paul Gosar indes, ein Republikaner aus Arizona, blieb dem historischen Auftritt demonstrativ fern, mit der Begründung, er lasse sich vom Heiligen Vater nicht in Sachen Klimawandel belehren. Es ist ein Satz, der Stephen Schneck, einen Gelehrten der Catholic University of America, zu heftigen Widerworten reizt. Keine Partei könne den Pontifex für ihre Agenda beanspruchen, was ihn motiviere, sei die Sorge um menschliches Leben. Er hoffe doch sehr, so Schneck, "dass uns der Papst herauszieht aus diesen kleinlichen Streitereien".

Interessant auch, wovon Franziskus dann doch nicht spricht. Das Embargo gegen Kuba, das der Kongress aufheben müsste, soll die angebahnte Normalisierung richtig in Schwung kommen, umschifft er wie eine heikle Klippe. Seine Gesellschaftskritik – einmal hatte er schrankenlosen Kapitalismus den "Mist des Teufels" genannt – beschränkt sich auf Andeutungen. So subtil, dass er auf Capitol Hill bei keinem aneckt.

Heiligsprechung

Bereits am Abend zuvor hatte sich Franziskus in der Basilika der unbefleckten Empfängnis auf schwieriges Terrain begeben, als er Junipero Serra heiligsprach, einen spanischen Missionar, der im 18. Jahrhundert die Indianer Kaliforniens zum christlichen Glauben bekehrte. Ohne direkt auf kritische Stimmen einzugehen, charakterisierte er Serra als die Verkörperung einer Kirche, die unentwegt vorwärts strebe, als einen Pionier, der darauf brannte, seine alte, europäische Welt zu verlassen, um in Amerika etwas Neues aufzubauen. Im Übrigen habe er sich bemüht, die Würde der Ureinwohner vor Exzessen des spanischen Militärs zu schützen.

Val Lopez, Sprecher der Amah Mutsun, eines der Indianerstämme, die in den Missionen Zwangsarbeitslager sehen, für die sich mit dem Namen Serra die Erinnerung an ein qualvolles Kapitel verbindet, sieht es ganz anders. "Für uns ist das ein Trauertag", sagt er. "Die Kirche weigert sich weiterhin, die Menschenwürde unserer Vorfahren anzuerkennen."

Dann ist da noch Sofia Cruz, eine Erstklässlerin aus Los Angeles, deren Geschichte ein Schlaglicht wirft auf die Lebenslage Hunderttausender Kinder jener Migranten, die ohne gültige Papiere aus Mexiko kamen. Selber in den USA geboren, besitzt sie automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft, während ihre Eltern – der Vater malocht nachts in einer Metallfabrik – jederzeit mit der Abschiebung rechnen müssen.

Franziskus, schreibt sie in einem Brief an den Papst, möge bitte mit dem Präsidenten und dem Kongress sprechen, damit ihre Eltern einen legalen Status bekommen: "Ich habe Angst, dass man sie mir eines Tages wegnehmen wird". Als Sofia über die Absperrgitter am Straßenrand kletterte, um aufs Papamobil zuzulaufen, war sie zunächst von Leibwächtern gestoppt worden, bevor der Pontifex mitbekam, was da passierte, sie zu sich winkte und von einem Bodyguard auf seine Höhe heben ließ. Bisher der optische Knüller der päpstlichen Reise. (Frank Herrmann aus Washington, 25.9.2015)