Marcel Hirscher will im kommenden Winter wieder Rennen gewinnen. Dass die Saison eine ohne Großereignisse ist, stört ihn gar nicht.

STANDARD: In der Pause des Skiweltcups hat sich der Fußball in Österreich ziemlich in den Vordergrund gedrängt. Was machen Sie, um gegenzusteuern?

Hirscher: Nichts. Ich konkurriere nicht mit den Fußballern. Mir taugt's, wie es aufwärtsgeht. Es ist eine Freude, zuzusehen, wie die Mannschaft Spaß und Erfolg hat.

STANDARD: Ohne WM und ohne Olympia bleibt in dieser Saison nur der Weltcup, den haben Sie schon viermal in Folge gewonnen – Motivationsprobleme?

Hirscher: Nicht wirklich. Das Skifahren macht mir ja Spaß. Ich habe nicht wegen Olympia oder einer WM damit begonnen.

STANDARD: Was ist das Hauptziel für den Winter?

Hirscher: Wieder Rennen zu gewinnen. Aber grundsätzlich bin ich sehr demütig und schaue von Training zu Training. Ich werde mein Bestmögliches versuchen. Aber es kann schnell alles andere als selbstverständlich laufen. Dessen bin ich mir bewusst. Deswegen versuche ich, das Ganze mit weniger Erwartung anzugehen.

STANDARD: Haben Sie einen persönlichen Saisonhöhepunkt?

Hirscher: Jedes Rennen ist ein Höhepunkt. Ich sehe die Großereignisse fast mehr als Belastung denn als Höhepunkt.

STANDARD: Haben Sie im Sommer neue Erkenntnisse für den Winter gewonnen?

Hirscher: Sehr viele, worüber ich aber nicht reden darf. Die meisten auf dem Materialsektor. Ich bin zuversichtlich, dass mir diese Erkenntnisse weiterhelfen werden.

STANDARD: Werden Sie heuer mehr Speedbewerbe fahren?

Hirscher: Nein. Es ist ziemlich langweilig, es bleibt alles beim Alten. Mir ist es lieber, ich kann in zwei Disziplinen spitze sein, als in vier Disziplinen Mittelmaß oder am Ende des Feldes.

STANDARD: Wie viel Prozent Marcel Hirscher steckt in dem Marcel Hirscher, den die Öffentlichkeit sieht?

Hirscher: So viel wie möglich. Wenn ich mit Konsequenzen zu rechnen habe, ist es leichter für mich, wenn ich ich selbst war. Ich habe aufgehört, mich inszenieren zu lassen, mich wie einen Tanzbären herumschieben zu lassen, Fotos zu machen, die mir nicht liegen, in Rollen zu schlüpfen, die ich nicht mag. Das bin nicht ich. Solche Sachen wurden am Anfang meiner Karriere probiert, aber das habe ich rasch abgelegt. Ich versuche so authentisch wie möglich zu sein.

STANDARD: Es gibt Leute, die sagen, Sie seien ein Selbstdarsteller. Haben sie recht?

Hirscher: Ja, ich stelle mich selbst dar, das ist gewiss so. Doch in Anbetracht dessen, was ich erreicht habe, verstelle ich mich recht wenig. Was die Leute von mir hinsichtlich Selbstdarstellung mitkriegen, ist mein Job. Aber privat bin ich keiner, der etwa Fotos von Urlauben posten muss.

STANDARD: Über manche erfolgreiche Sportler wird gesagt, sie seien auf dem Boden geblieben. Würden Sie das von sich behaupten?

Hirscher: In meiner Wahrnehmung schon. Aber das ist immer eine Interpretationssache. Für andere schaut "auf dem Boden geblieben" vielleicht anders aus als für mich. Ich lebe jedenfalls das Leben, das ich für richtig halte.

STANDARD: Was bedeutet "auf dem Boden bleiben" für Sie konkret?

Hirscher: Die kleinen Dinge des Alltags zu schätzen. Wenn ich in der Früh rausgehe, und, so kitschig es klingt, drei Rehe auf der Wiese sehe, dann denke ich mir: Unglaublich, wo wir noch leben dürfen. Das sind für mich Zeichen, dass ich auf dem Boden geblieben bin, dass mich nicht eine teure Luxusuhr glücklich macht, sondern ein schöner Tag am See.

STANDARD: Was bereitet Ihnen Kopfzerbrechen?

Hirscher: Vieles. In Bezug auf meinen Sport: wenn es einfach nicht rennt, wenn ich nicht fit bin. Ansonsten die momentane Situation in der Flüchtlingspolitik. Das Erdbeben in Chile hat mich auch nachdenklich gemacht. Meine Kollegen sind kurz davor aus Chile heimgeflogen.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie genießen öffentliche Auftritte. Ist das noch immer so?

Hirscher: Es kommt total darauf an. Wenn es handhabbar ist, ist es super. Wenn nicht, macht es natürlich keinen Spaß. Es gibt Situationen, in denen ich mir denke: Es ist viel zu viel. Und dann gibt es Situationen, in denen ich mir denke: Es ist schön, dass man etwas teilen kann und auch die Anerkennung bekommt.

STANDARD: Welcher Teil Ihres Jobs nervt Sie am meisten?

Hirscher: Die komprimierten Arbeitsbelastungen – etwa Situationen wie diese hier, wo Sie im Fitnessraum neben mir sitzen und mich auf dem Hometrainer interviewen müssen, damit wir das Interview irgendwie reinquetschen. Das geht mir auf die Nerven, weil der Tag einfach zu wenige Stunden hat, im Vergleich etwa zu Trainingslagern, wo die Stunden nach dem Training oft sehr monoton sein können.

STANDARD: Man sagt, durch Niederlagen lernt man viel mehr als aus Siegen. Welche Niederlage war für Sie die lehrreichste?

Hirscher: Da denkt man meistens an Verletzungen. Ich habe mir Gott sei Dank erst einmal wehgetan. Da habe ich sicher sehr viel gelernt: Wahre Freunde kennenzulernen, die ganzen anderen auf die Seite räumen. Das hat mir sehr viel geholfen. Weil in dieser Glamourwelt schon sehr viele Schulterklopfer herumlaufen.

STANDARD: Würden Sie gerne immer nur gewinnen?

Hirscher: Für einen gewissen Zeitraum hätte ich nichts dagegen. Nur ein Leben lang nicht. Das verliert auch seinen Reiz.

STANDARD: Anna Fenninger gewinnt auch ziemlich gerne, ihr Zerwürfnis mit dem ÖSV hat im Sommer für Aufruhr gesorgt – konnten Sie ihre Kritikpunkte verstehen?

Hirscher: Ich habe mit niemandem im Detail darüber gesprochen. Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Ich weiß nicht, wer zu wem was gesagt hat, wie was ausgemacht ist. Fakt ist, dass die Sache keinem gutgetan hat. Ich habe Anna einmal getroffen, da haben wir natürlich geredet. Ich kann mitfühlen, was sie gestört hat. Ich hatte auch einmal große Differenzen mit dem Verband, aber ich habe es intern geklärt und kann heute sagen, dass ich zu 95 Prozent zufrieden bin. (Birgit Riezinger, 24.9.2015)