Vergangenen Dienstag raste ich. Denn ich war bei "Rasen am Ring" reingestolpert. Ich genoss den Lauf auf einer der schönsten Straßen Österreichs – habe aber auch meine Zweifel am Sinn der Veranstaltung

Alec Hager wird mich jetzt wieder einmal nicht besonders lieb haben. Schließlich war er – im Gegensatz zu mir – am Dienstag nicht nur zufällig auf die Ringstraße gestolpert, sondern mitschuldig, dass ich hier laufen konnte: Hager ist einer der Köpfe der österreichischen "Radlobby".

Und die war am 22. September – dem internationalen autofreien Tag – mit dafür verantwortlich, dass Leute wie ich ungehindert und ungefährdet am Wiener Ring laufen konnten. Nicht "am": "auf dem". Mitten auf der Fahrbahn. Denn zum neunten Mal fand da "Rasen am Ring" statt.

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich ist so was leiwand. Jedenfalls für Menschen wie mich: Ich habe kein Auto. Weil ich keines brauche. Öffis, Rad und zu Fuß gehen (und laufen) reichen für mich vollkommen aus. Ich besitze ein Moped. Das genügt – wobei: der Roller steht meist nur herum.

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Wenn man so lebt wie ich, funktioniert das: mitten in der Stadt. Ohne Großfamilieneinkaufsbedarf. Große Transporte lagere ich aus – und dass die Leute, die dann für mich (auto)mobil sind, mitunter im Stau verrecken … aber egal: Das ist keine Verkehrspolitik-, sondern eine Laufkolumne. Und wenn es nur ums Laufen geht, ist es natürlich super, den ganzen Ring abgasfrei nutzen zu können.

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Außerdem: Sogar wenn Sie Benzin tränken und ein Autofreak wären, würden Sie dann, wenn Sie nur eine kleine Parkrunde laufen wollten, von der Mariahilfer Straße und dem Museumsquartier Richtung Hofburg unterwegs wären und da plötzlich genau keine Autos auf der Ringstraße sähen, vermutlich auch statt der winkeligen Parkwege den breiten Boulevard wählen. Oder? Eben.

Thomas Rottenberg

Weil: So oft geht das in Wirklichkeit nicht – auch wenn Ursula Stenzel und Co versuchen, medial das Bild einer Ringstraße zu zeichnen, auf der Autos nur noch in Ausnahmefällen fahren dürfen: Ganz so weit ist es nun doch nicht.

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Den Ring belaufen kann man natürlich nicht nur am "autofreien Tag". Da wäre zum Beispiel der Vienna Nightrun. Oder der VCM. Obwohl mir persönlich bei beiden Events zu viele Menschen auf dieser Straße unterwegs sind.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber wirklich fein zu laufen geht am Ring am besten im Vor- und Umfeld von großen Paraden: Mein persönlich liebster Ring-Lauftermin ist der 1. Mai. Knapp bevor die schrumpfenden Massen der Werktätigen vorbeidefilieren.

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Diesmal war ich aber ungeplant hier reingestolpert: In der Woche vor einem Marathon – ich starte am Sonntag in Berlin – tut man in der Regel gut daran, sich zu schonen. Auf dem Plan stand also lediglich ein Lockerungslauf: 40 Minuten mit vier oder fünf kurzen, nicht all zu knackigen "Steigerern".

Dafür ins Grüne zu fahren zahlt sich kaum aus: Mahü runter zum Einlaufen, die Eben-nicht-Sprints im Park, dazwischen ein bisserl herumtraben, und zum Auslaufen wieder nach Hause. Gemütlich. Dabei kann man sogar Spielzeug ausprobieren.

Foto: Thomas Rottenberg

Deshalb hatte ich eine Kamera mit, die ein Bote ein paar Stunden zuvor abgeworfen hatte. Das Testgerät – die Garmin Virb XE – kann ein bisserl mehr als meine eigene Kamera. Etwa GPS-Daten und Pulswerte via App in die Videobilder einbauen. Beim Laufen kriegt man da wegen der Wackelei zwar Augenkrebs, aber als erster Eindruck geht das schon. (Einen "echten" Test gibt es dann in ein paar Wochen. Nach Berlin. Mit Rad-Bildern.)

Thomas Rottenberg

Auch wegen der Bilder war ich, statt durch Volks- und Burggarten zu hoppeln, gerne auf der Straße geblieben: Ich habe vermutlich eine der weltgrößten Sammlungen von verwackelten Vorbeilaufbildern von Theseustempel, Sisi-Statue und den Rosenstöcken des Volksgartens …

Foto: Thomas Rottenberg

…sowie Selfies und Kamera-am-Boden-Vorbeilauf-Pics mit Franz-Joseph- oder Mozart-Denkmal im Anschnitt oder von von asiatischen Touristen bestaunten Tai-Chi-Gruppen im frühmorgendlichen Burggarten.

Foto: Thomas Rottenberg

Stattdessen Menschen in Liegestühlen vor der Uni, Hochradfahrer und Kindertheatergruppen mitten auf der Ringstraße einzufangen und damit wieder ein anderes, nicht jeden Tag reproduzierbares Bild der Stadt zu zeichnen macht da schon mehr Spaß.

Foto: Thomas Rottenberg

Noch dazu, wenn man wildfremden Menschen die Kamera kurz in die Hand drücken kann – und die der Bitte "einfach nur halten" bereitwillig nachkommen: Dass die Anzeige des Sensors der Kamera (rechts unten im Bild) bestätigt, dass die Erdanziehungskraft/Beschleunigung, die auf einen bewegungslos dasitzenden Menschen (oder das Objekt in seiner Hand) einwirkt, exakt 1G ist, ist ein Add-on: ein Triumph von Aufklärung und Wissenschaft – die Antwort auf eine Frage, die zu stellen niemandem je eingefallen wäre.

Thomas Rottenberg

Andere ungestellte Fragen wurden hier an diesem Tag auch beantwortet: Vor der Unis saßen junge Menschen vor einer Bühne. Irgendwer rief mir zu, dass das eine Vorlesung sei. Mir fiel erst viel später ein, dass das Uni-Semester noch gar nicht begonnen hat. Aber vielleicht hatte das Wort ja auch "Lesung" geheißen. Egal: Ich wäre so oder so weitergelaufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Genauso wie an den anderen Attraktionen und Aktivitäten. Wobei: Beim Musiker, der wacker und unerschütterlich leere Liegestühle bespielte, wäre ich beinahe kurz stehen geblieben. Teils aus Mitleid, teils aus Neugierde: Was und wie muss man schrammeln, um an einem Tag wie diesem an einem Ort wie diesem keine Zuhörer zu finden?

Foto: Thomas Rottenberg

Aber so gemütlich, mich hinzusetzen und zu chillen, war ich dann eben doch nicht unterwegs. Außerdem war hier auch kein Rasen: Wenn schon auf der Ringstraße sitzen, dann bitteschön im Gras – auch wenn es bloß Rollrasen ist.

Foto: Thomas Rottenberg

Also lief ich weiter. Zurück Richtung Oper. Vorbei an Kindertheater, Bike-Workshops und Kiddie-Verkehrsübungsplatz. Vorbei an sich sonnenden Paaren, Espressoständen und Rad-Initiativen, die da mit ihrer jeweiligen Klientel "ihren" Tag am Ring begingen.

Foto: Thomas Rottenberg

Knapp bevor ich dann vom Ring wieder in Richtung stadtauswärts abbog, sah ich – mit Kreide auf den Boden gemalt – noch einen Hinweis auf eine Veranstaltung, die mich tatsächlich interessiert hätte: Rad-Yoga. Nicht, dass ich da mitgemacht hätte (mich überfordert schon stinknormales Dehnen motorisch und koordinativ) – aber zugesehen, wie Menschen auf oder mit Fahrrädern Yoga-Übungen machen, hätte ich schon gerne.

Weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie das geht.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch dafür hätte ich gut eine halbe Stunde früher hier unterwegs sein müssen. Oder hätte ganz bewusst kommen müssen. Aber das war ich nicht. Weil ich – obwohl ich den Lauf in der spätsommerlichen Sonne auf einer der schönsten Straßen der Stadt ohne Autos, Lärm und Abgase ebenso genoss wie alle, die hier den Tag verbrachten – mir eben nicht sicher bin, ob die paar Stunden "Rasen am Ring" wirklich so wichtig sind, dass man dafür allen im Stau dünstenden Autofahrer ihre Feindbilder von den an der Selbstlähmung des motorisierten Individualverkehrs in den Städten angeblich "schuldigen" Radfahrern und "Verkehrsberuhigern" noch fester einbrennen muss.

Foto: Thomas Rottenberg

Wie fein ein Stadtleben ohne Auto sein kann, kriegen die, die in den Autos kleben, nämlich nicht mit – solange sie drin festsitzen. Weil sie ja rund um sich sehen, dass auch "alle" anderen feststecken. Es also anders wohl nicht geht. Und die, die sich (in den Städten) von Scheinmobilität und Scheinfreiheit qua Verbrennunsgmotor schon befreit haben, braucht man nicht noch einmal zu bekehren.

Aber: Ich schweife ab. Denn das hier ist ja ein Laufblog – und keine Kolumne über Mobilität und Verkehrspolitik. (Thomas Rottenberg, 24.9.2015)

Foto: Thomas Rottenberg