Unabhängigkeitsbestrebungen gibt es, seit das Konzept der Nationalstaaten existiert, so auch in Zeiten eines vereinten Europas. Und jeder neue Anlauf einer Region, seine Loslösung voranzutreiben wie nun in Spanien, wird argwöhnisch von den betroffenen Staaten beobachtet. Ein "Ansteckungseffekt" wird gefürchtet. So ging ein Aufatmen durch Europa, als 55 Prozent der Schotten im September 2014 gegen die Unabhängigkeit von Großbritannien stimmten. Eines der Hauptargumente der Gegner einer schottischen Loslösung war – neben offenen Fragen der Währung und des Sozialsystems – vor allem die ungeklärte Frage, ob ein unabhängiges Schottland in der EU bleiben kann. Auf Basis der EU-Verträge existiert nämlich keine klare Vorgangsweise für einen derartigen Fall.

Latente Konflikte

Tatsächlich dürfte das schottische Votum die Autonomiebestrebungen in Europa zumindest nicht weiter angeheizt haben. Die Sehnsucht nach der Unabhängigkeit ist aber – auch in Schottland – längst nicht ad acta gelegt. So will Nicola Sturgeon, Regierungschefin in Edinburgh eine neue Abstimmung abhalten, sollte Großbritannien aus der Europäischen Union austreten. Der britische Premier David Cameron verspricht seiner Bevölkerung ja ein Referendum über den Verbleib in der EU bis spätestens 2017.

Mit auch gewalttätigen Mitteln kämpfte die Untergrundorganisation ETA fast 50 Jahre lang für einen unabhängigen baskischen Staat im Nordwesten Spaniens und jenseits der Pyrenäen in Frankreich. 400 Menschen wurden bei tausenden Terroranschlägen der Gruppierung getötet. Erst 2011 erklärte die ETA einen Gewaltverzicht. Den Wunsch nach Unabhängigkeit hegen vielen Basken jedoch weiterhin, ein Referendum wurde vom spanischen Verfassungsgericht bisher verhindert, wie auch 2014 in Katalonien.

Keine Referenden möglich

Referenden über die Unabhängigkeit einzelner Regionen sind auch von der italienischen Verfassung nicht vorgesehen. So behalf sich ein Bürgerkomitee, das sich für die Unabhängigkeit des wirtschaftlich starken Venetiens einsetzte, mit einer rechtlich unverbindlichen Befragung via Telefon und im Internet. Bei der – leicht zu manipuliernden – Befragung stimmten im März 2014 von angeblich 2,36 Millionen Teilnehmenden 89 Prozent mit "Ja".

Belgiens flämische Nationalisten sind gleichzeitig überzeugte Europäer. Zentrale Triebkraft für eine Trennung Belgiens in einen nördlichen (Flandern) und einen südlichen Landesteil (Wallonien) ist die separatistische N-VA (Nieuw-Vlaamse Alliantie) von Bart De Wever, die aktuell an der belgischen Regierung beteiligt ist. Die N-VA tritt – im Unterschied zu den Anfangsjahren der Partei – für eine konföderalitstische Lösung ein und versucht, die nationalstaatliche Ebene zugunsten der Regionen auszuhöhlen.

Einen besonders starken Autonomiestatus hat das selbstverwaltete Grönland, das im Gegensatz zu Dänemark nicht in der EU ist. Grönland ist innenpolitisch vollständig unabhängig, wird aber in außenpolitischen Angelegenheiten von Dänemark vertreten. (mhe, 24.9.2015)