Seit dem Arcade-Automaten "Donkey Kong" (1981) ist Mario ein Stück Videospielgeschichte.

Foto: Nintendo

Wer heutzutage Messen zum Thema Gaming besucht, findet dort nicht nur die neuesten Titel. Zunehmend stolpern die Besucher auch über antike Computer und Konsolen, die angeschlossen sind an alte Röhrenfernseher, über deren Bildschirme grobe Pixel in einer Handvoll Farben huschen. Weitläufige Retro-Bereiche widmen sich den unterschiedlichsten Facetten aus vier Dekaden Videospielgeschichte, Sammler präsentieren hier stolz ihre elektronischen Schätze, und auf Spielkultur spezialisierte Institutionen wie das Wiener Subotron stellen Commodore 64, Sega Mega Drive oder die erste Nintendo-Konsole NES zum ausgiebigen Bespielen bereit.

Die kantigen Bildschirmhelden vergangener Tage sind in, das wird seit geraumer Zeit nicht nur auf Game City und Co deutlich: Mit dem Disney-Streifen "Ralph reicht's" feierte 2012 eine Hommage an die goldene Spielhallenära im Kino Erfolge, vor wenigen Monaten erst brachte die Adam-Sandler-Klamotte "Pixels" "Pac-Man" und "Donkey Kong" auf die Leinwand. Auch moderne Videospiele nehmen mehr denn je Bezug auf ihre Vergangenheit, bedienen sich optisch, akustisch und spielerisch bei klassischen Games – und begeistern dabei nicht selten Kunden und Kritiker.

Das 2-D-Hüpfspiel "Shovel Knight" etwa weckt Erinnerungen an NES-Klassiker wie "Mega Man" oder "Duck Tales" und hat sich innerhalb eines Jahres gut 700.000 Mal verkauft. Und damit so überraschend gut, dass das Spiel in Kürze auch in einer physischen Version in den Handel kommt und Nintendo dem "Schaufelritter" sogar eine eigene Amiibo-Figur widmet. Und die amerikanischen Spiele-Veteranen Ron Gilbert und Gary Winnick ("Maniac Mansion", "The Secret of Monkey Island") erfreuen 2016 altgediente Abenteurer mit dem neuen klassischen Point-&-Click-Adventure "Thimbleweed Park".

Zeitlos gut

Vor allem Spiele von Indie-Entwicklern, also kleinen Teams, die unabhängig von globalen Games-Verlagen ihre Werke schaffen und über Online-Kanäle publizieren, nutzen gerne Pixel-Optiken, die an die Grafik früher Heimcomputer und Konsolen erinnern. Sicher tun sie das auch ein bisschen im Gedenken an die Zeit, in der sie selbst zum ersten Mal mit dem faszinierenden neuen Medium Videospiele in Berührung kamen. Häufiger aber, weil solche Klötzchengrafik mit weniger Aufwand zu produzieren und animieren ist als ihre hoch aufgelösten, fein texturierten und realistisch beleuchteten Pendants. Doch es sind nicht nur bescheidene Mittel oder Bequemlichkeit, die Entwickler drei Jahrzehnte nach C64 und NES noch auf simple, klar strukturierte Pixelpräsentation setzen lassen. Zu vielen altgedienten und bewährten Spielkonzepten passt sie einfach perfekt.

Zur knallharten Höhlenexpedition "Spelunky" zum Beispiel, zum "Metroid"-inspirierten Action-Adventure "Axiom Verge" oder der Knast-Simulation "Prison Architect". Dass sich klassische Games, die nur in zwei Dimensionen stattfinden und dem Nutzer die Freiheit zur Erkundung des Raums verweigern, in der 8-Bit-Grafik der 1980er-Hardware keinen Deut schlechter spielen als in moderner, ausgereifter Optik, beweist in diesen Tagen der Wii U-Titel "Super Mario Maker". Aus Elementen der zahlreichen "Super Mario Bros."-Hüpfspiele der letzten 30 Jahre können die Nutzer hier ihre eigenen Levels bauen – und die machen in der Anmutung von Teil 1 aus dem Jahr 1985 genauso viel Spaß wie in der von "Super Mario Bros. Wii U" aus dem Jahr 2012. Das Umschalten zwischen groben Klötzchen und feiner Pixelpracht ist jederzeit möglich – und ändert doch rein gar nichts am Spiel selbst. Denn der spielerische Kern dieser Titel hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte nicht verändert, die grundlegenden Mechanismen, die vor 30 Jahren funktioniert haben, tun dies auch heute noch wunderbar.

Schlecht gealtert

Viele Retro-Games sind heute noch zeitgemäß und makellos spielbar, weil sie nichts von dem verloren haben, das ihren Reiz seit der Veröffentlichung ausmacht. Weil sie ihren Erfolg nicht dem virtuellem Zuckerguss (der im Lauf der Games-Geschichte immer bunter und süßer wurde) verdanken, sondern den wohl portionierten Grundzutaten, der Phantasie und Spielfreude. Und sie nähren das befriedigende Gefühl, eine Herausforderung dank Geschick und Ehrgeiz bestanden zu haben. Wenn Retro-Spiele schlecht altern, dann tun sie das meist, weil sie früher schon keine guten Spiele waren – und von solchen mittelmäßigen bis üblen Machwerken gab es, rosarote Nostalgiebrille kurz beiseite, in den vergangenen Epochen in Relation nicht weniger als heute.

Das muss nicht zwingend etwas mit den Fähigkeiten der damaligen Entwickler zu tun haben, sondern liegt oft an den bescheidenen technischen Möglichkeiten, die diesen zur Verfügung standen. Eine frühe Konsole wie das Atari VCS besaß ganze 128 Byte RAM-Speicher und konnte nur fünf interaktive Objekte auf einmal darstellen. Entsprechend haben die VCS-Umsetzungen von "Space Invaders" oder "Pac-Man" mit den bahnbrechenden Spielautomaten-Vorbildern nur wenig gemein – und werden heute auch nicht mehr ernsthaft gespielt. Wenigstens nicht von denen, die nicht mit dieser Konsole aufgewachsen sind. Nostalgische wie moderne Spieler können dagegen immer noch ihren Spaß mit "Pitfall!" haben – dem Urvater aller 2D-Hüpfspiele, das der brillante Techniker und Spieldesigner David Crane dem VCS 1982 auf die Hardware schneiderte und bei dem 4 Kilobyte Daten für die Inszenierung eines interaktiven Dschungelabenteuers genügten, das die Spieler wochenlang an den Bildschirm fesselte.

Nostalgie hat ihren Preis

Natürlich ist der Blick auf die Games der Vergangenheit oft verklärt. So wie einen – nicht selten hanebüchene – TV-Serien, Filme oder Bücher in Kindheit und Jugend beeindruckt und geprägt haben, taten und tun das interaktive Spiele seit ihrer Erfindung Anfang der 1970er-Jahre. Für viele einstige Spieler kommt der Moment im Leben, an dem sie wieder konfrontiert werden mit dem Erlebten von damals, wo sie die Erfahrungen noch einmal machen und vielleicht auch mehr wissen wollen über das, was da so einen großen Eindruck und diese unvergesslichen Gefühle hinterlassen hat. Meist sind sie dann (finanziell) unabhängig genug, dass sie es sich leisten können, all die alten Spiele wieder anzuschaffen, die sie früher leidenschaftlich gespielt haben. Und auch die, von denen sie wegen ihres damals bescheidenen Budgets nur träumen konnten.

Diese Games-Nostalgie treibt seit einiger Zeit massiv die Preise für alte Computer- und Videospiele in die Höhe und sorgt dafür, dass sich ein facettenreicher Markt rund um Retro-Games entwickelt. Bücher und Magazine beschäftigen sich mit der Videospielgeschichte, Emulatoren machen alte Software auf modernen PCs lauffähig, im Internet und auf Börsen wird reger Handel mit alten Games getrieben. Vor allem Nintendo-Konsolen und -Spiele stehen aktuell hoch im Kurs – die "Mario Kart"-, "Legend of Zelda"- und "Pokémon"-Kids sind erwachsen geworden und holen sich die überschaubare Behaglichkeit ihrer alten Spiele zurück.

Vielleicht ist es dabei nicht Nostalgie allein, sondern auch die Suche nach der einstigen Einfachheit von Leben und Spielen, die die Retro-Games in unserer komplizierten Jetzt-Welt so populär macht. (Stephan Freundorfer, 28.9.2015)