Die Authentizität des chinesischen Fluches "Mögest du in interessanten Zeiten leben" gilt als umstritten. Ebenso lässt sich darüber diskutieren, ob der in der Verwünschung beschriebene Zustand auch positive Nebenwirkungen haben kann. Die interessanten Zeiten, die wir jetzt aufgrund der Flüchtlingssituation in Europa erleben, haben beispielsweise die Konsequenz, dass parallel dazu stattfindende Wahlkämpfe weniger intensiv wahrgenommen werden, was wiederum dabei hilft, die in interessanten Zeiten so wichtige Hoffnung auf Vernunft und Anstand der Menschheit nicht völlig zu verlieren.

Auch die wenigen Meldungen aus dem Wiener Wahlkampf, denen es gelingt, die öffentliche Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, machen nicht unbedingt Lust auf mehr. Die wesentlichste Erkenntnis ist, dass es den roten und blauen Spindoktoren erstmals wirklich gelungen ist, die Wahl zu einem Zweikampf umzudeuten: Strache gegen Häupl. Rattenfänger gegen Staubfänger.

Das Duell der Fänger raubt der Konkurrenz Wahlchancen und Aufmerksamkeit.

Letztere konnten am ehesten noch die Grünen erkämpfen mit dem "Ich bin Öffi für alles"-Plakat des Nationalratsabgeordneten Julian Schmid. Beim Bild eines jungen Mannes, der von sich behauptet, ein öffentliches Verkehrsmittel zu sein, denkt man weniger an Politik als an Aktionismus wie Valie Exports legendäres Tastkino oder ein von Hermes Phettberg fantasiertes sadomasochistisches Rollenspiel. Sollte der Slogan doch anders gemeint sein (die über den in Wien nicht einmal kandidierenden Jüngling verteilten Lippenstiftspuren lassen dies vermuten, sie erinnern vom Erotikfaktor her eher an Filmplakate für Doris-Day- und Rock Hudson-Filme), so bleibt uns Herr Schmid leider die Erklärung schuldig, für welche der Wiener Linien er sich hält. Das interpretatorische Spektrum liegt wohl irgendwo zwischen 69A und Liliputbahn.

Der von praktisch allen Wahrnehmungsgrenzen ausgegrenzte ÖVP-Restposten Manfred Juraczka versuchte mit der Aussage aufzuregen, dass ausgerechnet der bayrische Korruptionskaiser Franz Josef Strauß sein politisches Vorbild sei. Vergeblich. Wenn die Wiener Volkspartei juxhalber mit der Vorarlberger SPÖ tauschen würde, wäre es interessant zu beobachten, ob das überhaupt irgendjemand in Wien oder Bregenz bemerken würde.

Kein Wunder, dass die Neos da mit ihrem Alleinstellungsmerkmal kaum Meter machen. In Wien die "bessere ÖVP" zu sein ist ähnlich schmückend wie die Auszeichnung "Bester Biowinzer der Kalahari".

Und auch die Aufregung um die Liste "Gemeinsam für Wien" hat sich als kurzlebiges Anfängerglück erwiesen. Eine Partei türkischstämmiger Erdogan-Unterstützer wirkt wie ein von Rindern gegründeter Plachutta-Fanclub. "Ich würde mit Strache koalieren", erklärte ihr Vorsitzender verzweifelt. Diese Aussicht in Kombination mit einem von Erdogan in der Türkei entfachten Bürgerkrieg könnte unsere Zeiten dann doch ein wenig zu interessant werden lassen. (Florian Scheuba, 23.9.2015)