Überreste einer Bestattungszeremonie: Ein abgetrennter Schädel und Hände, die vor dem Gesicht drapiert wurden.

Foto: Danilo Bernardo

Der Felsüberhang in der Ausgrabungsstätte Lapa do Santo unter dem "Bestattung Nr. 26" entdeckt wurde.

Foto: Andersen Lyrio

Leipzig – Rituelle Bestattungszeremonien, bei denen Kopf und Gliedmaßen der Toten abgetrennt und zur Schau gestellt wurden, dürften bereits viel früher praktiziert worden sein als angenommen. Während die bislang ältesten archäologische Funde darauf hindeuteten, dass solche Praktiken vor 3000 Jahren in den Anden durchgeführt wurden, konnte eine jetzt in der Fachzeitschrift "Plos One" erschienene Studie nachweisen, dass es bereits vor 9000 Jahren und auch im östlichen Südamerika zu solchen komplexen Bestattungsritualen kam.

Die archäologische Ausgrabungsstätte Lapa do Santo im zentralen Osten Brasiliens erwies sich schon des Öfteren als Fundgrube früher menschlicher Besiedlung. Im Jahr 2007 gelang Forschern unter einem Felsüberhang eine besonders interessante Entdeckung: An der als "Bestattung Nr. 26" bezeichneten Stelle fanden sie Überreste eines erwachsenen Mannes, darunter Schädel, Kiefer, die ersten sechs Halswirbel und beide Hände. Der Fund konnte mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie auf ein Alter von etwa 9000 Jahren datiert werden.

Ungewöhnliche Körpermanipulation

Das ungewöhnliche an diesem Fund: Die Hände des Mannes waren in entgegengesetzter Richtung über dem Gesicht drapiert. Bei genaueren Untersuchungen entdeckten die Forscher um André Strauss vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI) in Leipzig auch v-förmige Schnittspuren am Kiefer und am sechsten Halswirbel. Durch den Einsatz eines Konfokalmikroskops konnte rekonstruiert werden, dass das Weichgewebe des Mannes einst mit Steinblättchen entfernt worden war.

Schematische Darstellung von Bestattung Nr. 26 aus Lapa do Santo.
Foto: Gil Tokyo

Was aus heutiger Sicht wie ein Akt höchster Brutalität wirkt und eine kriegerische Auseinandersetzung vermuten lässt, dürfte den Anthropologen zufolge vielmehr Teil eines komplexen Bestattungsrituals sein, das mit einer Manipulation des Körpers einherging. "Die chemische Analyse von Strontium-Isotopen ergab, dass es sich bei dem enthaupteten Mann um ein Mitglied der Gemeinschaft handelte und nicht um einen besiegten Feind", sagt Domingo Carlos Salazar-Gárcia vom MPI.

Die Wissenschafter schließen aus der besonderen Anordnung der Hände vor dem Gesicht, dass der enthauptete Schädel der Gemeinschaft präsentiert wurde. Dies könnte während einem Ritual, das der Kräftigung des sozialen Zusammenhalts gedient haben könnte, stattgefunden haben. Für Studienleiter Strauss bestätigen die Ergebnisse die Komplexität der Bestattungsrituale von Jägern und Sammlern in der Neuen Welt und deuten darauf hin, dass diese Praxis wesentlich älter und weiter verbreitet ist, als ursprünglich angenommen. (red, 24.9.2015)