Wien – Der Nationalrat hat am Mittwoch die internationale Dimension der Flüchtlingskrise debattiert, und zwar erstmals mit Beteiligung von Europaparlamentariern. Die Bruchlinien zwischen den Fraktionen waren dennoch keine neuen: Während sich SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos für europäische Lösungen aussprachen, plädierten FPÖ und Team Stronach für geschlossene Grenzen.

FPÖ nimmt Orban in Schutz

Pro Klub durfte in der "Aktuellen Europastunde" ein Europa-Mandatar ans Rednerpult. Den Anfang machte Othmar Karas, EU-Abgeordneter der ÖVP, der dies als "überfällig" bezeichnete. Es habe den Anschein, als wäre Österreich nach 20 Jahren Mitgliedschaft endlich in der EU ankommen. Mit Evelyn Regner (SPÖ-EP) war er sich einig, dass die Flüchtlingskrise nur gemeinsam in Europa bewältigt werden könne. Es zeuge vom Verlust des Realitätssinns, hier national agieren zu wollen, meinte diese. Harald Vilimsky (FPÖ-EP) nahm hingegen den ungarischen Regierungschef Viktor Orban in Schutz. Dieser habe als einziger die europäischen Regelwerke beachtet, während die deutsche Kanzlern Angela Merkel und Werner Faymann (SPÖ) in Österreich auch Wirtschaftsmigranten, Glücksrittern und Helfern des IS die Tore geöffnet hätten.

Blaue Wahlwerbung

Unterstützung erhielt er dafür nur vom Team-Stronach-Nationalratsabgeordneten Christoph Hagen, der sich mangels eines EU-Abgeordneten seiner Fraktion zu Wort meldete. Vilimsky nutzte seinen Auftritt auch zur Wahlwerbung: Bei den Urnengängen in Oberösterreich und Wien könne man mit einer Stimme für die FPÖ der von SPÖ und ÖVP verantworteten Flüchtlingsmisere eine Absage erteilt werden. FP-Abgeordneter Roman Haider bezeichnete Faymann angesichts seiner Aussagen über die Eisenbahntransporte in Ungarn als "völlig durchgeknallt", was ihm einen Ordnungsruf einbrachte.

Grüne Schelte für ÖVP

Die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek – die sich wie Karas bessere Sitzplätze als jene neben dem Präsidium wünschte – wies all dies vehement zurück. "Wir sind ein Kontinent der Einwanderung, wir waren es immer schon", betonte sie. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments grenzte sich aber auch von der ÖVP ab. Die Gelder an UNICEF und UNHCR seien unter der Ägide schwarzer Außenminister gekürzt worden, kritisierte sie.

Schieder verweist auf seinen Draht

EU-Abgeordnete Angelika Mlinar von den Neos ortete angesichts der Problematik ein Hinterherhinken der Politik. Seitens der SPÖ meldete sich auch Klubchef Andreas Schieder (SPÖ) zu Wort. Er hatte ein Stück Draht vom 1989 abgebauten Eisernen Vorhang mit. Die FPÖ wolle Österreich wieder einzäunen, verwies er auf ein Interview von Parteichef Heinz-Christian Strache. "Das wünsche ich mir in keinem Fall."

Schwarze Taferl

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sah die EU in der schwersten Krise ihrer Geschichte und attackierte ebenfalls die FPÖ. "Die einfachen Antworten sind nicht immer die richtigen, und die richtigen Antworten sind nicht immer einfachen", sagte er. Er warf den Freiheitlichen vor, "schamlos die Sorgen der Menschen auszunützen für politisches Kleingeld". Mithilfe von Taferln in den schwarzen Abgeordnetenreihen warb er für "Asyl auf Zeit" und das jüngst präsentierte Acht-Punkte-Programm seiner Partei. Schutz für Schutzbedürftige, aber einer Grenzziehung Richtung Wirtschaftsmigration forderte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) Er plädierte für einen Systemwechsel Richtung Hilfe vor Ort. Dort müsse man auch Asylanträge stellen können, statt mit dem bisherigen System "Schlepper faktisch zu unterstützen". Man müsse die Ärmsten der Armen nach Europa bringen, nicht die fittesten und jene mit viel Geld.

Außerdem brauche es funktionierende Kontrollen an den Außengrenzen. "Wenn wir das schaffen, dann bekommen wir auch die Asylkrise in den Griff." Um Asyl geht es nach der Europastunde auch im ersten regulären Tagesordnungspunkt im Nationalrat. Beschlossen wird das Durchgriffsrecht des Bundes bei Asylquartieren sowie härtere Maßnahmen gegen Schlepper.

Durchgriffsrecht nur von FPÖ und Team Stronach kritisiert

Dazu gibt der Nationalrat gibt dem Bund heute ein Durchgriffsrecht, in Gemeinden Flüchtlingsquartiere zu schaffen. In der Debatte dazu zeigte sich, dass nur FPÖ und Team Stronach diese Maßnahme ablehnen. Grüne und Neos schlossen sich der Koalition an, die argumentierte, dass nur so eine menschenwürdige und auf fairen Kriterien beruhende Unterbringung möglich sei.

Ordnungsruf für Strache

Ganz anders sieht das die FPÖ. Deren Klubchef Heinz-Christian Strache ärgerte sich – rasch mit einem Ordnungsruf versehen – darüber, dass die Regierung die Last "ihres Scheiterns, Unvermögens, Amtsmissbrauchs, ihrer Gesetzesbrüche" nun auf Länder, Gemeinden und Bürger ablade. Die Regierung kontrolliere nicht, sie differenziere nicht und lasse alle Flüchtlinge ins Land. Dabei gebe es "kein Menschenrecht auf Wohlstandsflüchtlinge". Straches Vorbild sitzt in Budapest: "Ich sage Respekt für (Ungarns Premier Viktor) Orban, der die eigene Bevölkerung vor illegaler Masseneinwanderung schützt." Ungarn halte als einziges Land die EU-Regeln ein und das werde ihm mit "unglaublichen Beschimpfungen" gedankt. Er schäme sich für Kanzler Werner Faymann (SPÖ), den das Vorgehen der ungarischen Behörden an den Holocaust erinnert hatte.

Lugar beklagt Fehlen der Vernunft

Ziemlich ähnlich sah die Kritik von Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar aus. Die Regierung habe sämtliche Gesetze außer Kraft gesetzt und wider jede Vernunft jeden ins Land gelassen und damit auch gegen EU-Regeln verstoßen. Klüger wäre es Schutzzonen vor Ort zu schaffen: "Dann brauchen wir nix zu verteilen." Was jetzt geschehe sei, Flüchtlinge aufs ganze Land zu verteilen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt bleiben könnten. Mit ihrer Kritik blieben die beiden Parteien alleine.

Grüne gegen Zelte

Sowohl die Grünen, die die Verfassungsmehrheit sichern, als auch die Neos hielten der Koalition für einmal die Stange. Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig stellte klar, dass dieses Gesetz eines zum Ziel hat, nämlich Unterkünfte für Schutzsuchende zu schaffen. Warum das nötig sei?: "Weil es einfach kalt wird und Zelte nicht beheizbar sind."

Direkt ins Visier nahm sie die FPÖ wegen deren Unterstützung für Ungarns Asylpolitik. Seien die Freiheitlichen tatsächlich dafür, auf Kinder, Frauen, Schwangere (mit Gummipatronen) zu schießen, wie dies Orban genehmigt habe?

Neos gegen Zustände wie in Traiskirchen

Neos-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak wunderte sich, warum die FPÖ immer nur dann vermeintliche Verfassungsprobleme namhaft mache, wenn es gegen Flüchtlinge gehe. Angesichts der Zustände in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen sei ihr diese Idee nicht gekommen. Dass es das Durchgriffsrecht braucht, steht für Scherak fest, da es ohne verbindliche Vorgaben die gleichen Unterbringungsprobleme gäbe wie bis jetzt.

Koalition für faire Aufteilung

Auch für SPÖ-Klubobmann Schieder handelt es sich um eine notwendige Maßnahme. Wie es nun auch auf EU-Ebene zwischen den Staaten versucht werde, gehe es hierbei innerhalb des Landes um eine faire Aufteilung. Zudem wirke das Gesetz nur als Ultima Ratio, wenn sich Länder bzw. Gemeinden nicht an Vorgaben halten: "Wenn die Bundesländer die Quote halten, ist man im Leo."

VP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl verwies darauf, dass man mit einer Sondersituation konfrontiert sei, wie man sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt habe. Dafür habe man eine Lösung gefunden, die sicher stelle, dass jeder in Grundversorgung eine Unterkunft bekommen. Dies sei keine Entscheidung für die Zukunft. Denn wer am Ende des Verfahrens kein Asyl erhalte, werde das Land zu verlassen haben.

Kleine Änderungen vor Beschluss

Am Mittwochnachmittag hat der Nationalrat das Verfassungsgesetz zur Unterbringung von Flüchtlingen jedenfalls im Zuge einer namentlichen Abstimmung mit klarer Mehrheit beschlossen. Vor der Zustimmung von Rot,Schwarz, Grün und den Neos wurden während der Debatte noch einzelne kleinere Änderungen eingebracht, um den Unmut vor allem des Gemeindebunds zu dämpfen. So wurde etwa vereinbart, Bürgermeister mindestens eine Woche vor der Unterbringung von Asylsuchenden zu informieren.

Blaue Ministeranklage wird am Donnerstag eingebracht

Abgelehnt wurde (ebenfalls in namentlicher Abstimmung) ein freiheitlicher Antrag auf Volksabstimmung zum Durchgriffsrecht. Ein Antrag auf Ministeranklage, wie ihn die FPÖ für Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) vorbereitet hat, wird erst bei der morgigen Sondersitzung eingebracht.

Kampf gegen Schlepper

Fast unter ging in der Debatte, dass neben dem Durchgriffsrecht auch eine Verschärfung der Schlepper-Bekämpfung beschlossen wird. Konkret können Schlepper auch bei einer geringen Zahl an geschleppten Flüchtlingen leichter in U-Haft genommen werden. Um das dafür notwendige Strafausmaß zu erreichen, reicht es künftig, wenn gewerbsmäßig drei Personen geschleppt werden. Bisher war der Wert bei zehn gelegen. Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) sprach von einer "höchst sinnvollen" Maßnahme und sicherte zu, dass es für den Fall der Fälle die nötigen Haft-Kapazitäten gebe. Dass man das Thema sehr ernst nehme, zeige sich darin, dass es heuer schon fast 500 Anklagen wegen Schlepperei gegeben habe. (APA, 23.9.2015)