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Der südafrikanische Sprinter und Weltrekordhalter Oscar Pistorius galt Diskutanten in Lech als ideales Beispiel des optimierten Menschen: eine Fortsetzung der Evolution mit technischen Hilfsmitteln?

Foto: AP / Matt Dunham

Lech – Wollen wir, dass Menschen ständig "besser" werden, was immer das genau bedeuten mag? Ist es sinnvoll, unsere natürlichen Grenzen zu erweitern, unsere Gehirne in ungeahnt lichte Höhen zu dopen, gar zu versuchen, uns selbst zu verdoppeln?

Es sind Fragen von biomedizinischer, technischer, sozialer und ethischer Tragweite und damit auch Themen philosophischer Erörterungen. Das diesjährige Philosophicum in Lech hat sich ihnen an vier Tagen in der vergangenen Woche gewidmet – zum Thema "Neue Menschen!" fand man die Stichworte "Bilden, optimieren, perfektionieren". Wie üblich in diesem heuer zum 19. Mal von Konrad Paul Liessmann geleiteten Symposium wurden sie mit Fragezeichen versehen.

Zunächst ging es um Begriffsklärungen und erste Erörterungen, wo die Grenze liegt zwischen dem "natürlichen" Drang nach einem besseren Leben und radikalen Methoden, es zu erreichen. Danach gab es, wie sich zeigte, noch etliches genauer auszuloten, etwa welche Form die Verbesserungsstrategien annehmen könnten.

Vorteile im Wettbewerb

Sie können, wie Johann Ach, Bioethiker an der Uni Münster, ausführte, Vorteile im Wettbewerb mit anderen bringen oder bloß eine persönliche Befriedigung sein, freiwillig oder oktroyiert geschehen und moderate oder extreme Formen annehmen. Letztere, also die besonders viel Aufmerksamkeit erregenden Tech-Fantasien vom Homo futurus, ortete er vor allem bei Wissenschaftern, die mit Star Trek aufgewachsen sind. Allgemeingültige, durchschlagende Argumente für oder gegen bestimmte "Verbesserungshandlungen" seien zum Scheitern verurteilt, stattdessen müsse man sich die Mühe machen, die Strategien einzeln zu analysieren.

Einer solchen Mühe unterzog sich etwa die Philosophin Claudia Pawlenka von der Uni Düsseldorf, die über Formen des "human enhancement" im Sport sprach. Im Sport gilt die Maximierung der Leistung, zugleich gibt es den Ruf nach Fairness, daher das Dopingverbot. Pawlenka problematisierte die Grenzziehung zwischen natürlichen und künstlichen Hilfsmitteln und betonte die Zweckfreiheit von Sportarten, wobei sie allerdings die enormen Prämien und Nebeneinkünfte als Zweck etwas vernachlässigte. Im Übrigen gebe es trotz des Fetischs von Höchstleistungen eine andere Dimension, die kaum an Anabolika gebunden ist, nämlich die schiere Klasse, die fast mythische Qualität bestimmter Sportler. Schließlich sei Perfektion, wie sie vielleicht künstlich erzeugt werden kann, langweiliger als der bemühte sportliche Kampf.

Am anderen Ende des Verbesserungsspektrums stehen maschinell erweiterte Menschen. Nun ist die Idee, dass Sinnesorgane und körperliche Fähigkeiten technisch verbessert werden, nicht neu. Schon Dadaisten und Futuristen, so die Kulturwissenschafterin Karin Harrasser von der Kunstuni Linz, träumten davon und imaginierten Prototypen. Heute allerdings gibt es sie in der Praxis – etwa Prothesen, die zu Leistungsvorteilen werden, man denke an Oscar Pistorius, den ehemaligen südafrikanischen Sprinter mit speziell angefertigten Fußprothesen, der nun wegen der Tötung seiner Freundin in Haft sitzt.

Diese Prothesen sind erst der Anfang. "Das Szenario kann nanotechnisch, bionisch, pharmazeutisch, robotisch ausgestaltet sein", der Mensch sei "wahlweise dazu eingeladen, befreit, verdammt, mittels Technologien die Evolution fortzusetzen". Angesichts einer Welt, in der solche Vermischungen zunehmen und Menschen "teilsouverän" werden, plädiert Harrasser dafür, auf Abhängigkeiten zwischen technischen und organischen Akteuren zu achten und imstande zu sein, Widerspruch gegen technische Modifikationen zu artikulieren.

Definiert man Ethik als Lehre vom guten Leben und richtigen Handeln, dann, sagt Anne Siegetsleiter von der Uni Innsbruck, kann man dem Projekt "transhumane Lebewesen" einiges abgewinnen. Die Verschränkung von Körpern und Science-Fiction-Technik ergebe im günstigen Fall ein längeres, gesünderes und im philosophischen Sinn besseres Leben; Transhumanisten organisieren sich bereits politisch und träumen von "enhanced" Präsidentschaftskandidaten in nicht allzu ferner Zukunft. In weniger günstigen Szenarien drohen allerdings Eugenik und gar eine "Versklavung der Menschen durch künstliche Intelligenzen".

Der fremdoptimierte Mensch

Schöne Aussichten! Auch der Genetiker Markus Hengstschläger von der Med-Uni Wien warnte vor einer "fremdoptimierten Menschheit", insbesondere vor der bereits angedachten Keimbahntherapie. Durch sie würde Gen-Doping, Veränderungen der Erbmasse, bereits an den Keimzellen praktiziert und daher nicht bloß das entstehende Individuum, sondern alle Generationen danach betreffen.

Abschließend und passend zum Sonntag philosophierte der emeritierte Theologe Dietmar Mieth von der Universität Tübingen darüber, wie sich unsere verbessernden Handlungen auf uns selbst auswirken werden. Inmitten von Euphorie und unbändigem Optimismus sei es angebracht, Religion als "Unterbrechung" zu verstehen, als Raum für Reflexion, die bei einer "wissenschaftlichen Einbettung in Innovationszwänge und ökonomische Wettbewerbsbedingungen" nicht gegeben sei. Man möge Probleme nicht so lösen, dass dadurch noch größere Probleme entstehen.

Hinter den meisten Szenarien, die den fast 650 Besuchern des Philosophicum Lech vorgeführt wurden, stand die Frage: Wem sollen sie zugutekommen? Denn es ist klar, dass bei dem betriebenen Aufwand nicht die ganze Menschheit in eine wie immer geartete Version 2.0 befördert werden kann.

Lückenhafte Verheißungen

Für soziale Probleme weltweit winkt hier keine Lösung, im Gegenteil. Wie es der Schriftsteller Karl-Markus Gauß formuliert hat: "Wenn die sozialen Utopien zuschanden gehen, verächtlich gemacht oder vergessen werden, gähnt eine Lücke auf, die wie geschaffen dafür ist, dass in sie die Verheißungen der Technologie gestopft werden." Diese Verheißungen allerdings sind selbst voller Lücken. Der Fortschritt schaut größer aus, als er wirklich ist – das wusste schon Johann Nestroy. (Michael Freund, 23.9.2015)