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Der Anbau von Baumwolle verbraucht viel Wasser und Chemikalien. Bis ein Paar Jeans fertig ist, sind rund 8000 Liter Wasser notwendig.

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Ein Baumwollkleidungsstück hinterlässt eine lange Schmutzspur. In einer Jeans sind 1,6 Kilogramm Chemikalien.

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Rund 80.000 Tonnen Altkleider werden pro Jahr in Österreich entsorgt. Die deutsche Journalistin Heike Holdinghausen beschreibt in ihrem neuen Buch "Dreimal anziehen und weg damit" die Mechanismen, die hinter dem Schlagwort "Fast Fashion" stecken, und kritisiert die zahnlose Politik in den Industriestaaten.

STANDARD: Viele Verbraucher geben bei Umfragen regelmäßig an, dass ihnen die ethischen und ökologischen Bedingungen, unter denen ihre Bekleidung produziert wird, wichtig sind. Spiegelt sich das im Kaufverhalten wider?

Holdinghausen: Nein. Das Wollen und das Wissen haben gar nichts damit zu tun, wie wir einkaufen. Das gilt nicht nur für Bekleidung.

STANDARD: In der Unübersichtlichkeit liegt der Verdruss. Woran können sich Konsumenten orientieren, die in diesem Bereich nicht aufgeben wollen?

Holdinghausen: Es ist wirklich schwierig. Es gibt sehr gute billige und sehr schlechte teure Ware – und umgekehrt. Es gibt mehr als 100 Siegel, das ist schon eine eigene Wissenschaft. Für mich ist das ein Versagen der Branche, auch der ökologischen, dass sie sich nicht auf ein paar wenige Siegel einigt und somit dem Verbraucher eine echte Orientierung bietet.

STANDARD: Oft findet man solche Siegel aber nicht bei einem Bummel auf der Einkaufsstraße. Ist das Internet eine Alternative?

Holdinghausen: Wenn man gut einkaufen will, wird man vor allem im Netz fündig. Aber die Konsumenten, die ökologische oder sozial hergestellte Kleidung dort kaufen, sind nur eine kleine Zielgruppe. Der winzige Marktanteil solcher Kleidung kann nur wachsen, wenn sie auch in den Geschäften in den Fußgängerzonen erhältlich ist. Sie muss beim Bummeln auffindbar sein.

STANDARD: Oft gibt es falsche Annahmen über die Fasern. Sie widmen sich zum Beispiel in Ihrem Buch der Baumwolle. Wieso ist deren intensiver Anbau so schädlich?

Holdinghausen: Sie ist die Naturfaser, die am meisten benutzt wird. Der Anbau ist sehr wasserintensiv. In jedem Wachstumsschritt wird eine große Menge Chemikalien eingesetzt. Das endet aber nicht bei der Ernte, sondern um die Baumwolle durch Maschinen führen zu können, werden weitere Chemikalien eingesetzt. Wenn am Ende ein Baumwollkleidungsstück fertig ist, hat es eine lange Schmutzspur hinterlassen. In einer Jeans stecken zum Beispiel 1,6 Kilogramm Chemikalien. Und allein 2013 wurden 1,8 bis drei Milliarden Jeans verkauft.

STANDARD: Kunstfasern aus recyceltem Polyester boomen gerade. Sind sie eine Alternative?

Holdinghausen: Für Recyclingkunststoffe braucht man – anders als für Naturfasern – keinen Boden zum Anbau, kaum Wasser, kaum Energie. Man muss den Rohstoff, etwa Plastikflaschen, nur schreddern und kann ihn dann einschmelzen. Auch bei großen Ökolabels gibt es darum mittlerweile Bestrebungen, recycelten Polyester als anerkannte Biofaser zu bewerten. Erst mal ist es natürlich ein pragmatischer Ansatz: Wir haben nun mal sehr viel Plastikabfall. Andererseits ist Plastik ein ökologisches Problem.

STANDARD: Was ist Ihrer Meinung nach die Schwachstelle bei der Verwertung?

Holdinghausen: Sie ist nicht lebenszyklisch gedacht. Unsere Sachen werden als Altkleidung zu überwältigendem Teil nach Afrika und Asien exportiert. In vielen Ländern gibt es keine gute Müllentsorgung, und die Bekleidung landet auf Müllkippen, im Straßengraben – und irgendwann in den Flüssen und Meeren. Dann ist sie wieder ganz normaler Plastikmüll und kein Recyclingprodukt mehr.

STANDARD: Grundlegend für die Kaufentscheidung ist meist der Preis, wobei der geringste Anteil des Kaufpreises bei den Produktionsfirmen bleibt. Welche Zahlen haben sich bei Ihren Recherchen ergeben?

Holdinghausen: Ein Beispiel: Eine Hose wird um rund 22 Dollar verkauft, in der Fabrik bleiben lediglich 1,7 Dollar. Davon sollen die Löhne ausbezahlt, die Maschinen betrieben, Umweltschutz und Sicherheitsbestimmungen gewährleistet werden. Allerdings sind die Bekleidungsunternehmen ebenfalls einem gnadenlosen Verdrängungswettkampf ausgeliefert. Es gibt viel zu viel Ware. Die Märkte in Europa sind gesättigt. Die Folge ist, dass viel in Marketing investiert wird, um den Leuten das Kauferlebnis weiterhin schmackhaft zu machen.

STANDARD: Viele Moderiesen kämpfen trotzdem mit Absatzproblemen.

Holdinghausen: Das Problem ist das Geschäftsmodell dieser Ketten: immer mehr zu einem niedrigen Preis mit einem möglichst hohen Gewinn verkaufen zu müssen. Durch die ständigen Rabattschlachten fragt man sich als Verbraucher auch, was für einen Wert das überhaupt noch hat?

STANDARD: Die Schnäppchen verleiten dazu, vieles zu erwerben, was man gar nicht braucht. Der Titel Ihres neuen Buches spielt darauf an, dass die Leute viel Bekleidung im Schrank haben, die sie kaum oder nie anziehen. Ist weniger, aber bewusster zu kaufen eine realistische Lösung?

Holdinghausen: Das hört sich immer so sauertöpfisch an. Ich war zum Beispiel gestern hier in der Fußgängerzone der Wiener Kärntner Straße unterwegs. Gut gelaunte Menschen mit großen Einkaufstaschen – einkaufen macht halt vielen Leuten einfach Spaß. Die erreicht man mit der Botschaft "kauft weniger" kaum. Es sind zu wenige, die sich der Grenzen des Wachstums bewusst sind, und sich auch entsprechend verhalten. Zwar ist es wichtig, immer wieder über die Folgen des Massenkonsums zu informieren und zu diskutieren, ob das gute Leben immer mit Kaufen zu tun haben muss. Doch ist auch die Politik gefragt. Die Rahmenbedingungen sind im Moment einfach falsch.

STANDARD: Welche Schritte müsste die Politik jetzt setzen?

Holdinghausen: Beispielsweise wäre es möglich, Klagen von Arbeitern in Produktionsländern wie Bangladesch oder Pakistan gegen die Konzerne in den Industriestaaten zu erleichtern. Wenn eine Fabrik abbrennt oder einstürzt, könnten dadurch diejenigen haftbar gemacht werden, die von der Produktion dort profitieren. Außerdem könnten die Hersteller verpflichtet werden, nachzuweisen, dass sie sich in der Produktion an die Standards halten, die in ihren Heimatländern gelten und die etwa durch die Arbeitsorganisation der UN definiert worden sind. Die Unternehmen wollen in Europa Geld verdienen, dann sollen sie sich auch an die Regeln halten, die hier herrschen.

STANDARD: Die Diskussion konzentriert sich jedoch auf das Verhalten der Konsumenten: Wie kann man richtig kaufen? Wo bekomme ich eine Kaufanleitung? Handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver?

Holdinghausen: Richtig, es ist absurd; die Regierungen gestalten mit ihrer Politik den Markt und bitten zugleich die Konsumenten, dessen Auswüchse durch bewusstes Konsumieren zu beseitigen. Das ist eine Bankrotterklärung der Politik. (Julia Schilly, 23.9.2015)