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König Salman bin Abdulaziz (Bild). Das Heft halten bereits die Jungen in der Hand, und zwar vor allem der erst 30-jährige Sohn Salmans, Mohammed bin Salman, Verteidigungsminister – und Wächter über seinen kranken Vater.

Foto: EPA/Douliery

100.000 Sicherheitskräfte sind im Einsatz für die alljährliche Hajj, die muslimische Pilgerfahrt, die morgen beginnt: Das klingt viel – angesichts der 1.372.148 Pilger, die sich laut offiziellen saudischen Informationen bereits am Samstag in Mekka aufhielten, schon etwas weniger. Die Hajj besteht aus an und für sich einfachen nacheinander auszuführenden Ritualen, die jedoch Bewegung und Ortswechsel beinhalten: angesichts der Massen eine große logistische Herausforderung. Die Saudis sind zweifellos die bestorganisierten Eventveranstalter der Welt.

Dazu kommt Unterbringung, Verpflegung und Versorgung und die in diesen Kriegszeiten – im Nahen Osten brennt es ja an allen Ecken und Enden – besonders wichtige Sicherheitsfrage: Da gibt es stets die Gefahr von Anschlägen, aber auch vor Unruhen auf unterer Ebene. Nicht alle Pilger und Pilgerinnen, die da aufeinandertreffen, sind einander grün. Und dann die Kranken und Toten: Am Wochenende, also noch vor Beginn, waren bereits mehr als 300 Menschen verstorben. Da die Hajj zu den "fünf Säulen" den Islam gehört, machen sich auch solche Pilger auf den Weg, die wissen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, ihre religiöse Pflicht zu erfüllen.

Was die Bilder aus Mekka in Zeiten der steigenden Islamophobie bei Nichtmuslimen auslösen, ist ein Thema für sich. Die Muslime und Musliminnen werden als homogene, lenkbare Masse wahrgenommen. Das mag während der Zeit, in der die Rituale ausgeführt werden, weitgehend stimmen – schon am Abend der Hajj ist es damit wieder vorbei. Politische, kulturelle, soziale – aber auch religiöse, mehr denn je – Differenzen spalten die islamische Welt.

Große Einschnitte nach Abdullahs Tod

Die diesjährige Hajj – im islamischen Kalenderjahr 1436 – ist die erste nach dem Tod von König Abdullah bin Abdulaziz Al Saud Ende Jänner. Politisch ist seitdem im Königreich kein Stein auf dem anderen geblieben. Der neue König, Salman bin Abdulaziz, gehört als Halbbruder Abdullahs zwar noch der Generation der Söhne des Staatsgründers Abdulaziz Al Saud (Ibn Saud) an, der vor 62 Jahren, 1953, verstarb. Aber das Heft halten bereits die Jungen in der Hand, und zwar vor allem der erst 30-jährige Sohn Salmans, Mohammed bin Salman, Verteidigungsminister – und Wächter über seinen kranken Vater. Ihn hat Salman sofort nach Abdullahs Tod als Vizekronprinz installiert, wozu er die Nachfolgeentscheidungen des toten Königs umstoßen musste. Das hat nicht allen gefallen, das Haus Saud ist zerstritten, anonyme Twitterer informieren die Öffentlichkeit über den Stand der Intrigen.

Unter Salman hat Saudi-Arabien seine traditionelle bedächtige Status-quo-Politik mit einem Paukenschlag verlassen: Das sichtbarste Zeichen davon ist das militärische Engagement im Jemen, in der Luft und mittlerweile auch am Boden (allerdings mit einer Hilfstruppen aus verschiedenen islamischen Ländern). Die Offensive gegen die zaiditisch-schiitischen Huthi-Rebellen kommt nach monatelangen Bombardements nun voran, die Huthis verlieren eine Stadt nach der anderen. Der jungen saudischen Führung – der "kleine General" wird Mohammed bin Salman von seinen Kritikern genannt – ist jedoch zu wünschen, dass sie nicht der Illusion erliegt, dass der Jemen durch Krieg zu befrieden ist.

Geld wird zum Thema

Neu ist auch, dass im Königreich erstmals genau gerechnet werden muss: Die hohen Kosten des Kriegs, die Rentenpolitik im Inneren – bei einem Thronwechsel fließt viel Geld an die Untertanen, und seit 2011, dem Beginn des "arabischen Frühlings" anderswo, werden immer wieder "Prämien" ausgeteilt – und last but not least der niedrige Ölpreis machen sich in der Staatskasse bemerkbar. Millionen Ausländer, zum Teil in qualifizierten Berufen (etwa im Gesundheitswesen) arbeiten in Saudi-Arabien, zuletzt wird immer öfter laut spekuliert, ob man sie sich noch leisten kann.

Die heurige Hajj begann mit etwas, was viele für ein schlechtes Omen halten: Trotz der üblichen Hinweise auf den "Willen Gottes" wird der Kranunfall genau untersucht, dem vor kurzem mehr als 100 Gläubige im Tempelbezirk in Mekka zum Opfer fielen. Es gibt Verdacht auf Fahrlässigkeit – übrigens war die Bin Laden Group für den Kran, der umstürzte, verantwortlich. Aber es konnte nicht ausbleiben, dass Kritiker des saudischen Königtums ihre Theorien verbreiten, dass dessen Hybris den Zorn und die Strafe Allahs nach sich gezogen hat. Unter der riesigen Baukulisse in Mekka nimmt sich das islamische Heiligtum, die Kaaba, tatsächlich recht verloren aus. Der Bauwahn kennt keine historischen Rücksichten. Viele Muslime sind darüber unglücklich: Die für ein arabisches Erdölland typische Pracht und Ästhetik verhindert eher, dass sie sich im Zentrum ihrer Religion heimisch fühlen. (21.9.2015)