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Kampf ums Mitfahren: Eine Mutter mit weinendem Kleinkind versucht, in einen Zug zu gelangen, der vom serbisch-kroatischen Grenzort Tovarnik nach Ungarn – und weiter nach Österreich – fährt.

Foto: APA / EPA / Antonio Bat

Wo sind jetzt die Flüchtlinge? Die Polizisten, die in Brezice gleich hinter der kroatischen Grenze in Slowenien an ihren Einsatzwägen lehnen, lächeln: "Keine Ahnung. Wir warten auch auf die. Vielleicht sind sie in Ungarn, vielleicht kommen sie nicht, weil es so heiß ist, vielleicht haben sie sich in Luft aufgelöst."

Am Samstagnachmittag spielen sich wieder einmal – wie oft in den vergangenen Wochen – absurde Szenen in Zusammenhang mit den tausenden Flüchtlingen ab, die über den Balkan in den Norden kommen. Während Polizei und Helfer in Slowenien und in der Steiermark auf die Flüchtlinge warteten, schickte die kroatische Regierung diese nach Ungarn zurück, dort brachte man sie an die burgenländische Grenze, wo niemand sie erwartete.

In Slowenien mit dem Regierungschef und Rechtsgelehrten Miro Cerar, der sich strikt und vorbildhaft an die Schengen-Regeln halten und die Flüchtlinge gar nicht unbedingt weiter nach Österreich schicken will, wollen diese wiederum nicht bleiben. In der Messehalle in Gornja Radgona riefen sie "Go West, go West", obwohl sie wohl kaum nach Italien, sondern wohl eher Richtung Österreich in den Norden wollten.

Erst einmal ausruhen

Slowenien werde den Flüchtlingen ermöglichen, sich im Land erst einmal auszuruhen, sagte Cerar. Korridore kämen nicht infrage. Trotzdem reisten einige Hundert weiter nach Österreich. In Kroatien registrierte man indes seit Mittwoch 25.000 Flüchtlinge. Die kroatische Regierung begann am Freitag Flüchtlinge, die aus Serbien kamen, an die ungarische Grenze zu bringen, mit dem Argument, dass Kroatien seine Kapazitäten ausgeschöpft habe und ohnehin nur ein Transitland sei. Das verärgerte wiederum die ungarische Regierung, die betont, dass dies nicht ausgemacht worden sei.

"Kroatien lässt nicht nur Ungarn im Stich, sondern die gesamte Europäische Union", so Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács. Auch Außenminister Péter Szijjártó übte heftige Kritik an der kroatischen Regierung. Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern seien so schlecht wie noch nie. Der kroatische Premier Zoran Milanovic kündigte dennoch an, seine Politik fortzusetzen. "Indem wir die Menschen dort hingeschickt haben, haben wir ihre Aufnahme erzwungen. Das werden wir weiter tun", sagte er in Beli Manastir.

Insbesondere in diesem kleinen Ort in der Baranja ist die Situation äußerst schwierig. Man ist mit den tausenden Flüchtlingen, die plötzlich auf Straßen und in Obstgärten sitzen, überfordert. Die EU-Kommission schmiedet indes Pläne, wie die Flüchtlinge aus Kroatien in andere EU-Staaten verteilt werden könnten.

"Größtes Opfer Serbien"

Streit wegen der Flüchtlinge gibt es auch zwischen Serbien und Kroatien sowie Serbien und Ungarn. "Serbien darf nicht zu einem der größten Opfer werden", sagte der serbische Außenminister Ivica Dacic, weil die Nachbarn die Grenzen dichtgemacht hatten. Der serbische Sozialminister Aleksandar Vulin drohte Kroatien sogar mit einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof. Der kroatische Premier, der für seine Flapsigkeit bekannt ist, tat dies mit den Worten ab: "Ein Adler jagt doch keine Fliegen." Sprich: Kroatien gäbe sich mit so etwas nicht einmal ab, so überlegen sei das Land. Vulin soll darauf Richtung Milanovic gesagt haben: "Du bist ein gerupftes Huhn."

"Migrationsdruck"

Mittlerweile ist zumindest nach fünf Tagen wieder die ungarisch-serbische Grenze offen. Ungarn hatte nach gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Einsatzkräften und Flüchtlingen die Grenze komplett schließen lassen. Dies habe der "Migrationsdruck auf Ungarn und Serbien" erforderlich gemacht, sagt der ungarische Innenminister Sándor Pintér. Beide Länder hätten das Problem nun "einvernehmlich gelöst" und würden weiterhin zusammenarbeiten. In schwierigen Zeiten offenbare sich eben der wahre Freund, so der Innenminister.

Nach wie vor beschäftigen ungarische Medien die Ausschreitungen vom Mittwoch an der serbisch-ungarischen Grenze. Regierungskritiker werfen der Polizei Fehlverhalten vor. Das investigative Journalistenportal atlatszo.hu berief sich in einem Bericht am Sonntag auf die Aussagen eines Ex-Polizeibeamten. Demnach hätten die Einsatzkräfte einen Vermittler mit Sprachkenntnissen einsetzen müssen, um zur Entschärfung der Lage beizutragen.

Premier Viktor Orbán vollführe eine überraschende außenpolitische Wende hin zur Slowakei, schrieb die linksliberalen Zeitung Népszabadság am Sonntag. Mit seinem slowakischen Amtskollegen Robert Fico teile er ähnliche Interessen im Umgang mit Flüchtlingen. Die Slowakei könne zum ungarischen Bündnispartner werden – trotz Spannungen rund um die ungarische Minderheit in der Slowakei. Kommentar Seite 20

(Daniela Neubacher aus Budapest, Adelheid Wölfl aus Brezice, 20.9.2015)