Wir wollen besser werden. Nicht nur "schneller, höher, stärker", wie das olympische Motto fordert, auch schöner, klüger, gesünder, ganz allgemein erfolgreicher, und möglichst lange am Leben bleiben – wer weiß, vielleicht ewig?

Das sind Wünsche, die man in allen Kulturen antreffen kann. Seit Urzeiten versuchen Menschen, sie mit Magie, mit Salben oder Körpertraining realisieren, nun auch mithilfe avancierter Medizin, Gentechnik und Doping bis hin zu Strategien, eine fehlerfreiere Kopie des Selbst digital zu erschaffen.

Eine solche Entwicklung stellt die Philosophie, die sich mit der Essenz des Menschseins, seinen Möglichkeiten und seinen (beliebig erweiterbaren?) Grenzen befasst, vor große Herausforderungen. Das 19. Philosophicum Lech nimmt sie an und erörtert, ob und wie durch "Bilden, Optimieren, Perfektionieren" etwas tatsächlich Neues entsteht.

Die Erschaffung "besserer" Lebewesen

Am Vorabend des dreitägigen Symposiums erweitert dessen wissenschaftlicher Leiter Konrad Paul Liessmann im bereits Tradition gewordenen Dialog mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier zunächst das Thema. Köhlmeier fasst die Geschichten des Prometheus, des Golem und des von Victor Frankenstein erschaffenen Monsters zusammen (Mary Shelleys Roman hat ja den Untertitel "Der moderne Prometheus") und führt sie auf ihren Kern zurück, die Erschaffung "besserer" Lebewesen. Jedes von ihnen sollte erweiterte Fähigkeiten besitzen, tat es auch, und doch ging immer etwas schief. Das erinnert, wie die beiden interpretieren, nicht zufällig an Goethes Zauberlehrling und an sich selbst reproduzierende Computer. Wenn diese noch dazu menschliche Züge einprogrammiert bekommen, dann geraten sie in das Grenzgebiet von "enhanced humans" und werden, je nachdem, zum Hoffnungs- oder Angstsymbol unserer Tage.

Vorerst aber beschäftigt sich das Symposium mit bekannteren Formen von Enhancement. Die Verbesserung des Menschengeschlechts, Ziel der Aufklärung, hat in den letzten Jahrzehnten anderen, technoiden und individualistischen Programmen (in jedem Sinn des Wortes) Platz gemacht. Sie bezwecken körperliche Leistungssteigerungen, fördern die Gehirnkapazität durch chemische Eingriffe, erhöhen die Chancen auf dem Partnermarkt durch chirurgische Korrekturen schon bei Halbwüchsigen (nicht um das Beheben wirklicher Mängel geht es dabei, sondern um die Optimierung "normaler" Menschen). Sie behaupten die Wirksamkeit von Anti-Aging-Mitteln und von Doping für mentale Höchstleistungen.

Weniger Ästhetik, mehr Ressourcen

Es entsteht also, so Liessmann in seinem Eröffnungsvortrag, die Annahme einer fundamentalen Plastizität und Weltoffenheit des Menschen. Allerdings geht es bei dieser "permanenten Selbstfindung" weniger um ästhetische Kriterien als um das Steigern von Ressourcen aller Art, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Und viele von uns haben diese Ressourcen bereits sozusagen verinnerlicht, indem sie Fitnessbänder oder smarte Uhren nach ihren Körperdaten abfragen und sich sagen lassen, wie viel sie noch laufen und was sie essen sollen, um ihr tägliches Plansoll der Verbesserung zu erreichen. Das wiederum ist nur ein Zwischenschritt zu entsprechenden Implantaten, die uns ebenfalls zu fitteren Menschen machen wollen.

Werden wir dadurch auch "bessere" Menschen? Der Erziehungswissenschafter Thomas Damberger (Uni Frankfurt) konstatiert, dass die klassische Funktion von Bildung der Forderung nach Enhancement Platz macht. Die längste Zeit galt als Ideal, die Welt zu erkennen und diese Erkenntnis weiterzugeben – wenn man will, eine Kurzdefinition von Pädagogik – und zugleich zu wissen, dass man nie vollkommen sein wird. Eigensinnige, widerständige Formen von Erkennen aber seien heute "Sand im Getriebe der Marktanforderungen" und daher obsolet. Aber auch Anpassung genüge nicht mehr; man müsse die künftigen Entwicklungen voraussehen und sich für sie formen.

Die relevanteste Entwicklung ist die Digitalisierung. Die Menschen verfügen mehr und mehr über sie, die vielfältigen Formen von Interaktion, Kommunikation, Unterhaltung lassen sich bekanntlich in binäre Codes pressen. Doch die Menschen können, so Damberger, "nicht Teil dieser Schöpfung werden". Dennoch wollen sie es. Milliardenschwere Projekte arbeiten an der Digitalisierung des Gehirns. Der Ausgang ist ungewiss, Skepsis ist angebracht. Indem wir an den Neuronen messen, was messbar ist, bleiben ganze Dimensionen des Menschseins unbeachtet: Intuition, Begrifflichkeit, Reflexion – das, was traditionell Bildung ausmacht. Es gelte, bei allem technologischen Fortschritt den "Blick für das Unermessliche" zu bewahren.

Auf dem Weg zum perfekteren Organismus

Eher in die gegenteilige Richtung denken Vertreter des Trans- oder Posthumanismus, der "Singularity" (Ray Kurzweil). Für sie, so führen mehrere Vortragende in Lech aus, ist der gegenwärtige Homo sapiens nur ein work-in-progress (so der britische Philosoph Nick Bostrom), eine unvollkommene Zwischenstufe zu einem perfekteren Organismus, der sich aus Technik und den Filetstücken des Organismus zusammensetzen wird, natürlich ans Internet gebunden und so enhanced, wie es nur geht.

Wir wissen nicht, ob diese Utopie (oder Dystopie?) je Wirklichkeit wird. Wir sehen aber, so Sascha Dickel, Wissenschaftssoziologe an der TU München, dass diese Visionen mancher Gelehrter und vieler ihrer Jünger eine "utopisch aufgeladene Beschreibung unserer Gegenwart" sind. Will heißen, dass sie sich aus der Komplexität der gegenwärtigen Lebenswelt in eine unkomplizierte Zukunft retten. Wer aber sagt uns, dass Transhumans in ihrer Umwelt besser zurande kommen als gewöhnlich Sterbliche in der jetzigen? (Und, wenn wir schon dabei sind: woher kommt die Zuversicht, dass in 50 Jahren das Internet noch der Stand der Dinge oder überhaupt vorhanden sein wird?) Eher das Gegenteil vermutet Dickel. Die bisherige technische Aufrüstung und Verbesserung, die Extensionen der Menschen haben ähnlich viel Befreiung wie Beengung gebracht, Freiheit wie Last. (Michael Freund, 18.9.2015)