Parallel zum Exodus aus Syrien gibt es diplomatische und militärische Entwicklungen, die die Spielregeln an den Kriegsfronten entscheidend verändern könnten. Es sieht wie ein Scheideweg aus: Gelingt es, einen internationalen Konsens zur Bekämpfung des "Islamischen Staats" (IS) zu finden? Er würde sehr bittere Aspekte enthalten, wie die Duldung einer zumindest temporären Rolle für das Assad-Regime. Oder wird stattdessen eine potenzielle neue militärische Konfliktebene in Syrien eingezogen? Sie verliefe zwischen Russland und der US-geführten Anti-IS-Allianz und wäre brandgefährlich.
Was bisher geschah: Seit Monaten verfolgt Moskau seinen neuen Plan, eine allumfassende Koalition gegen den Terror zu schmieden. Er enthält den Versuch, die Moskau-skeptische syrische Opposition zu engagieren, aber vor allem die Assad-Gegner in der Region, allen voran Saudi-Arabien, zur Kontaktaufnahme mit Damaskus zu bringen.
Auf geheimdienstlicher Ebene ist das angeblich gelungen. Die Gesprächsbasis mit den USA verbesserte sich – auch als Folge des Iran-Atomdeals, den Moskau offenbar als möglichen Katalysator auch für seine Syrien-Politik sah. Moskau zeigte sich im Uno-Sicherheitsrat konstruktiv, als es im August für eine Syrien-Resolution stimmte und Venezuela auf Linie brachte. Und es zeigt Unterstützung für die Syrien-Initiative von Uno-Emissär Staffan de Mistura.
Damit hatte es sich aber auch schon. Als Knackpunkt erwies sich wenig überraschend die Frage, wie man zum syrischen Regime steht: Russland deutet zwar immer an, dass Bashar al-Assads Zukunft als Präsident nicht in Stein gemeißelt ist, aber dass ihm und der syrischen Armee gegenwärtig eine Rolle zukommen muss, ist nicht verhandelbar. Genau umgekehrt ist es in Washington – während in Europa durchaus bereits einzelne Stimmen laut werden, dass man angesichts der Bedrohung durch den IS in den sauren Assad-Apfel beißen muss.
Seit kurzem eskaliert Moskau, indem es seine Militärpräsenz in Syrien hinauffährt und Assad aufrüstet. Dieser spielt seinen Part: Er startet eine Luftoffensive gegen den IS in Raqqa. In Briefen an die Uno beklagt er sich über die militärische Intervention Großbritanniens, Frankreichs und Australiens. Anders als die irakische hat die syrische Regierung ja nicht um westliche Hilfe gegen den IS ersucht – aber bisher auch nichts dagegen unternommen.
Eine große Anti-Terror-Koalition, die Russland und den Westen umfasst, würde Wladimir Putin helfen, aus der Isolation herauszukommen: Vielleicht ist ja das die Triebfeder. Die große Frage ist, wo man im Moment steht: Sieht der russische Präsident seine diplomatische Initiative als bereits gescheitert an und setzt neue aggressive Schritte – oder versucht er sie in Gang zu bringen mit der Demonstration dessen, wie es sonst weitergehen könnte?
Angesichts der Ukraine-Erfahrungen ist jeder Grad von Skepsis angebracht. Aber es ist nicht so, dass andere, überzeugende Syrien-Pläne auf dem Tisch liegen würden. (Gudrun Harrer, 18.9.2015)