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Nicht nur "arbeiten" in deutscher Sprache richtig konjugieren zu können, sondern irgendwann auch arbeiten zu dürfen gehört zum Traum von einem besseren Leben in Europa.

Foto: APA/dpa/Murat

Habt ihr gerade wen für uns? Nein? Auch recht, wird sind ja oben." Gabriele Kolmorgen streckt nur kurz den Kopf durch die Bürotüre, dann läuft sie eine Etage höher und nimmt an ihrem Schreibtisch Platz. Die unbürokratische Anfrage hat gerade einmal zehn Sekunden gedauert.

Möglich ist sie, weil in Berlin-Spandau seit 1. September ein Modellprojekt läuft, bei dem zwei deutsche Bundesbehörden eng zusammenarbeiten. Am Askanierring, in einem schmucklosen Bau, sind eine Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) untergebracht.

Gabriele Kolmorgen gehört zum 15-köpfigen Team der Arbeitsagentur. Sie und ihre Kollegen schauen regelmäßig bei den Mitarbeitern des Flüchtlingsamtes vorbei. Und diese machen die rund 130 Flüchtlinge, die täglich hier ihren Asylantrag stellen, auch gleich darauf aufmerksam, dass es hier nun eine neue Möglichkeit gibt.

Freiwillige Angelegenheit

Wer möchte, kann sofort eine Etage höher gehen und in der Arbeitsagentur ein erstes Jobgespräch führen. Das Angebot richtet sich allerdings nur an Menschen mit einer hohen Chance auf Bleiberecht. Wer vom Westbalkan kommt, der bekommt es nicht, Syrer hingegen schon.

Gerade war ein Syrer zum Gespräch da, der in seiner Heimat als Architekt gearbeitet hat. Auch ein Verkäufer, der aus Saudi-Arabien geflüchtet ist, wollte sich registrieren lassen. "Das ist eine freiwillige Angelegenheit, niemand muss davon Gebrauch machen", betont Kolmorgen.

Viele Flüchtlinge jedoch ergreifen die Chance, weil sie die Überlegung der beiden Bundesämter auch als Vorteil sehen: Der Weg zum Job soll verkürzt werden. Ein ausführliches "Bewerbungsgespräch" findet dann statt, noch bevor ein erwartbar positiver Bescheid ergangen ist.

Viele offene Stellen

Die deutsche Wirtschaft schaut wohlwollend auf das Projekt. Sie hat die vielen Flüchtlinge, die seit Wochen nach Deutschland strömen, vor allem als Arbeitskräfte im Blick, denn derzeit sind in der Bundesrepublik offiziell 574.000 offene Stellen gemeldet – so viele wie noch nie zuvor.

Deutschland könne pro Jahr eine halbe Million Zuwanderer verkraften, sagt der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Er fordert von der Politik allerdings, die Zuwanderung besser zu steuern: "Das betrifft besonders Ostdeutschland." Hier seien fast zwanzig Prozent der Arbeitnehmer mit Schlüsselqualifikationen in mathematischen, naturwissenschaftlichen, technischen oder Informatikberufen über 55 Jahre alt und gingen in absehbarer Zeit in Pension. Hüther: "Viele ostdeutsche Regionen werden in zehn Jahren entvölkert sein, wenn die Politik jetzt nicht umsteuert."

Daimler-Chef Jürgen Zetsche spricht schon von der "Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder". Und Ulrich Grillo, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), betont: "Wir sind bereit, allen Asylsuchenden mit berechtigten Chancen auf ein Bleiberecht den raschen und zeitlich gesicherten Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen zu ermöglichen."

15 Prozent mit Uni-Abschluss

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Hans-Jürgen Weise, sieht die Flüchtlinge langfristig als "große Bereicherung". Er warnt allerdings davor, die Lage nur rosig zu sehen. Einen Hochschulabschluss hätten nur 15 Prozent, es kämen auch viele Ungebildete. Diese Erfahrung macht man auch beim Spandauer Modellprojekt. "Natürlich fragen bei uns auch viele Analphabeten nach einem Job", sagt Kolmorgen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will die bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt nun auch beschleunigen. Sie hat Weise mit der Leitung des Bundesamts für Migration betraut. Dessen bisheriger Leiter, Manfred Schmidt, ist nach Kritik an der schleppenden Bearbeitung von Asylanträgen aus "persönlichen Gründen" zurückgetreten.

Derzeit stauen sich in Deutschland 300.000 unerledigte Anträge. Doch nun will die Regierung gegensteuern. Laut Süddeutscher Zeitung arbeitet sie an einem Entwurf für massive Leistungseinschränkungen. "Dublin-Flüchtlinge" – jene also, die eigentlich in einem anderen EU-Staat schon hätten registriert werden müssen – sollen nur mit einer Bahnkarte und etwas Essen wieder in diesen zurückgeschickt werden. (Birgit Baumann aus Berlin, 22.9.2015)