Kun Keen, eine der ältesten Kaffeeröstereien Malaysias, sieht aus wie eine Mischung aus Stahlwerk und Alchemielabor. Aus kleinbusgroßen Eisentöpfen steigen dichte Säulen aus weißem Dampf auf, darunter blubbert eine pechschwarze dicke Flüssigkeit. Arbeiter mit Mundschutz und Schweißperlen auf der Stirn rühren mit langen Eisenstangen in den Kesseln.

Dann wird der Kessel per Knopfdruck gekippt, und sein Inhalt ergießt sich wie zähe Lava in ein flaches, mehrere Meter langes Becken direkt davor.

Mit langen Rechen verteilen andere Arbeiter die Masse darin, sodass sie schneller auskühlen und hart werden kann. Bald wird daraus das vielleicht beliebteste Getränk Malaysias werden: Kopi, in Butter und Zucker gerösteter Kaffee.

Foto: Tobias Müller

Das Zeug ist so etwas wie der Albtraum eines jeden Third-Wave-Kaffee-Connaisseurs. Kopi ist dunkelstschwarz und hat jede Menge Körper, seine Konsistenz liegt näher an dicker Suppe denn an Filterkaffee. Er schmeckt noch viel bitterer und verbrannter als klassischer italienischer Espresso, süß und nach einer gewaltigen Dosis Koffein – ein Geschmack, mit dem man aufgewachsen sein muss, um ihn wirklich zu mögen. Pur trinken ihn auch eher nur alte Männer.

Eiskalt mit etwas Milch und Zucker wird Kopi aber zu einer ganz köstlichen, süchtig machenden Erfrischung an schwül-heißen tropischen Nachmittagen. Auch optisch ist er dann ein Genuss: Die Hitze lässt Kondensschwaden aus dem kalten Kaffee aufsteigen, und die weiße Milch senkt sich langsam in die dicke tiefbraune Flüssigkeit.

Es ist schon ein bisserl her, dass ich meinen letzten Kopi genossen habe. Ich habe in den vergangenen Wochen aber an mehreren anderen Kaffeegeschichten gebastelt, unter anderem über Cold Brew und andere ausgefallenere Zubereitungsarten, und habe dabei wieder an Kopi gedacht. Weil ich wenig zum Selberkochen gekommen bin, gibt's diese Woche daher ein paar Malaysia-Erinnerungsfotos.

Das Nationalgetränk

Kopi ist so etwas wie das Nationalgetränk Malaysias. Die Bürger des Landes stammen von Chinesen und Indern ab, von Indonesiern, Burmesen, Thais, Briten, Deutschen und natürlich Malaien. Manche beten in Moscheen, andere in Tempeln oder Kirchen, in den Restaurants gibt es wahlweise Besteck, Essstäbchen oder ein Waschbecken für Inder, die traditionell mit den Händen essen. Auf der Straße spazieren Frauen in Saris und Gesichtsschleier neben anderen in Hotpants und T-Shirts. Auf Kopi aber können sie sich einigen.

Wer durch die Straßen von Georgetown geht, der kommt an jedem Häuserblock an mindestens einem Kaffeehaus vorbei, oft drängen sich noch zusätzlich in kleinen Gassen improvisierte Stände, an denen der Kaffee ausgeschenkt wird. Starbucks hingegen, in Chinas Städten mittlerweile allgegenwärtig, sieht man hier eher selten. Die älteren Männer schlürfen ihren Kopi heiß aus großen Tassen, die jüngere Generation bevorzugt ihn stark gezuckert und mit Kondensmilch über viel Eis gegossen in einem großen Bierglas oder Plastikbecher.

Foto: Tobias Müller

Kaffee ist ein denkbar unwahrscheinliches Nationalgetränk für Malaysia. Die Geschichte des Landes wurde seit mindestens hundert Jahren von Teetrinkern geprägt: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es von den Briten schrittweise besetzt und zu einer Kolonie gemacht, um es zu modernisieren, brachten diese indische und chinesische Arbeiter ins Land. Warum Kaffee sich trotzdem gegen Grüntee, Oolong oder Earl Grey durchsetzen konnte, weiß keiner so genau, und die Erklärungen variieren.

"Die Tradition des Butterröstens stammt von der Insel Hainan in China", meint etwa Pheng Lim von der Kun-Keen-Rösterei, dort sei die Technik bereits viel länger praktiziert worden. Auch Röstereigründer Dato Seri Chood stammt aus der Gegend: 1952 wanderte er nach Georgetown aus und sperrte hier seine Rösterei auf. Die Technik hat wohl, genauso wie die dunkel gerösteten italienischen Bohnen, einen pragmatischen Hintergrund: Begonnen hat das Butterrösten (wie das dunkle Rösten) mit dem Versuch, minderwertige Bohnen trinkbar zu machen – was stark geröstet ist, schmeckt nur mehr nach Röstaromen und nicht mehr nach der Bohne selbst.

Trinkbar machen

Während in Europa so Robusta-Bohnen genießbar gemacht werden sollten, war es in Malaysia Liberica. Die Briten brachten diesen wenig geschätzten Verwandten des Arabica ins Land. Um ihn trotz seines garstigen Geschmacks trinkbar zu machen, wurde er beim Rösten mit Zucker und Butter gestreckt – die beiden Zutaten geben Kopi bis heute seinen typisch herb-verbrannten Geschmack. Immer noch werden eher keine teuren Arabica-Bohnen für Kopi benutzt: Kun Keen etwa setzt auf günstigen Robusta aus Indonesien.

Der Herstellungsprozess für Kopi ist vergleichsweise kompliziert:

In den Kesseln wird zuerst Zucker karamellisiert, dann werden die Bohnen darin 45 Minuten bei 300 Grad geröstet, gemeinsam mit Butter und, im Fall von Kun Keen, etwas Sesam.

Foto: Tobias Müller
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Foto: Tobias Müller

Anschließend darf die Masse auskühlen, bis sie die Konsistenz von Toffee hat. Arbeiter hacken diese Mischung mit einer Art langen Spaten in ziegelgroße Brocken und lassen sie durch drei verschiedene Mühlen laufen.

Foto: Tobias Müller

Das Ergebnis ist eine Art grober Kaffeekies, der entweder in großen Dosen verkauft wird, oder, für den den Heimgebrauch, in kleine Säcke gepackt wird, ähnlich wie Teebeutel.

Foto: Tobias Müller

Inspiriert von der Beliebtheit des Kopi haben in den vergangenen Jahren mehrere Kopi-Ketten aufgesperrt. Das weit verbreitete "Old Town Coffee" etwa serviert buttergeröstete Bohnen in einem Setting, das mehr an Starbucks als an Georgetown erinnert. Wer hierher kommt, betrügt sich um einen guten Teil des Vergnügens: Das traditionelle malaysische Kaffeehaus ist weit mehr als nur eine Ausschank, sondern zelebriert eine vielfältige kulinarische Tradition.

In den Kaffeehäusern wird Kopi in einer Art Socken gebrüht, wie er in ganz Südostasien für diverse Pulverkaffees im Einsatz ist. Die Kaffeemacher packen eine Handvoll der Kopi-Kiesel in ein schlauchförmiges Netz, stellen eine Tasse unter und gießen heißes Wasser darüber.

Foto: Tobias Müller

Dazu gibt es Snacks in britisch-kolonialer Tradition: Toast, wahlweise mit Butter und Kaya, einer süßen Kokosnussmarmelade, sehr weich gekochte Eier im Glas ("half boiled egg") oder kleine harte Kekse, die in den Kaffee getunkt werden.

Foto: Tobias Müller

Morgens, mittags und abends parken jeweils andere Straßenverkäufer ihre Stände neben oder in den Geschäften: Es gibt Fischcurry mit Reis und gebratene Nudeln mit Shrimps und Muscheln, Hühnersuppe mit Fischknödeln oder Laksa, eine süß-sauer-scharfe Fischsuppe. Die Stände und die Kaffeehäuser haben beide ihre Stammkundschaft – und bescheren sich gegenseitig Kunden: Wer sich an einen Tisch setzt und isst, muss mindestens ein Getränk bestellen.

Foto: Tobias Müller

In Georgetown finden sich einige der vielleicht schönsten Kaffeehäuser des Landes. In der gut erhaltenen Innenstadt stehen hauptsächlich zweistöckige Häuser aus den 1920er- und 30er-Jahren, mit überdachten Veranden und bunt bemalten Wänden. In den Kaffeehäusern im Erdgeschoß bedecken oft noch bunte, englische Fliesen den Boden, gesessen wird an runden Tischen mit Steinplatten, und an der Decke drehen sich schwere Ventilatoren, die aussehen, als wären sie so alt wie die Häuser selbst.

Foto: Tobias Müller

Der Kaffee wird an alten Nirosta-Schanken gebraut, die Eiswürfel werden mit der Hand gehackt, und das Toastbrot wird noch traditionell über glühenden Kohlen geröstet, sodass es nach Rauch und Holz schmeckt.

Foto: Tobias Müller

"Wir sind eine der Letzten, die den Kaffee noch in Handarbeit herstellen", sagt Lim von der Kun-Keen-Röstererei. "Das ist sehr zeitintensiv und anstrengend – aber notwendig." Sechs Tage die Woche werden die Öfen hier angefeuert, mindestens zehn Stunden am Tag rauchen und blubbern sie vor sich hin.

Erfahrene Röster mit geschultem Blick wüssten einfach besser als jede Maschine, wann der richtige Röstgrad erreicht sei und wann das Kaffee-Butter-Zucker-Toffee die optimale Konsistenz erreicht hat. Ihre Kunden sehen das wohl ähnlich: Kun Keen exportiert seine Ware auch nach Taiwan, Hongkong und China. "Die Konkurrenz von westlichem Kaffee fürchten wir hier eher nicht", meint Lim. "Ich gehe auch hin und wieder zu Starbucks und trinke einen Frappucino. An Kopi kommt das aber nicht heran." (Tobias Müller, 20.9.2015)