Der Chefredakteur von "Charlie Hebdo", Gérard Biard, nahm in Potsdam den Medienpreis M100 entgegen.

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Ganz wohl fühlte sich Gérard Biard nicht: "'Charlie Hebdo' ist zu einem Symbol für Medienfreiheit geworden. Dabei ist es als Satirezeitschrift nicht unsere Rolle, Symbol zu sein", sagte der Chefredakteur anlässlich der Verleihung des renommierten Medienpreises M100 in Potsdam am Donnerstagabend.

Zuvor hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier das islamistisch motivierte Attentat am 7. Jänner auf die Redaktion des Satiremagazins in Paris, bei dem neun Mitarbeiter starben, als "Anschlag auf Freiheit und Demokratie" bezeichnet. Für Laudator Ferdinand von Schirach war es "ein Blutbad wegen ein paar Zeichnungen". Dieser Preis gebühre den Toten, aber auch den Lebenden.

Appell zum Weitermachen

Der Schriftsteller sprach den Chefredakteur direkt an: "Ihre Zeitung ist frech und frivol und wütend – und immer wieder unerträglich." Seine Rede beendete er mit einem Appell: "Wir bitten Sie, machen Sie weiter mit 'Charlie Hebdo', solange es irgendwie geht!"

Biard sagte, niemand in der Redaktion habe vor dem Anschlag ein Held sein wollen. "Aber die Überzeugung und Werte, für die wir eintreten, sind universelle Werte, die allen gehören und für die jeder kämpfen muss." Die Attentäter hatten ihren Anschlag mit Mohammed-Karikaturen des Magazins begründet. Anders als vielfach behauptet habe sein Magazin auch nie den Islam kritisiert, sondern den Islamismus als politische Ideologie, sagte Biard. Das sei mit einem politischen Programm gleichzusetzen. "Das hat nichts mit Blasphemie zu tun."

Recht auf Blasphemie

Gleichzeitig forderte er dazu auf, das Recht auf Blasphemie zu verteidigen. "Blasphemie ist ein Ausdruck der Anfechtung der Macht." Es sei auf allen Ebenen notwendig, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. "Sonst haben die recht, die töten."

In seiner Rede nahm der Chefredakteur nicht Bezug auf die jüngste Ausgabe seines Magazins, die heftige Reaktionen hervorgerufen hatte. Darin ist der tote Flüchtlingsbub Aylan zu sehen und im Hintergrund die Werbung einer Fastfood-Kette.

Im Gespräch mit Journalisten verteidigte Biard die Karikatur: Die Zeichnung mache sich nicht über den Tod des Kindes lustig. Damit habe man deutlich machen wollen, dass der Westen den tausenden Flüchtlingen außer Konsumkultur nichts zu bieten habe. "Satire muss einen Schock provozieren. Man muss mit dieser Meinung nicht einverstanden sein, aber wer deshalb zum Mord aufruft, verwechselt Meinung mit Verbrechen", sagte Biard.

Extreme Sicherheitsvorkehrungen

Die Preisverleihung im Rahmen der Medienkonferenz M100 zum 70. Jahrestag des Potsdamer Abkommens begleitete die Potsdamer Polizei nach eigener Darstellung mit einem "außergewöhnlich hohen" Sicherheitsaufwand und begründete dies mit der Gefährdungslage. Alle Teilnehmer mussten mehrere Sicherheitschecks über sich ergehen lassen. (Alexandra Föderl-Schmid aus Potsdam, 17.9.2015)