Wien – Er sei "verwamst worden", worauf "ein Filz war" und er in die "Kinderfickerzelle" gesteckt wurde. Hört man Baris S. zu, lernt man einige hübsche Ausdrücke, um im Gefängnisjargon parlieren zu können. Sonja Weis, Vorsitzende des Schöffensenates, ist darin offenbar firm – und kann den Laienrichtern übersetzen, dass der 36-Jährige erst verraten wurde, anschließend seine Zelle durchsucht worden sei und er schließlich in einen Sonderhaftraum für Pädophile kam.

Kinderschänder ist der elffach Vorbestrafte allerdings keiner, die Anklage gegen ihn und den Erstangeklagten Dusjan K. (Name geändert, Anmerkung) lautet auf Amtsmissbrauch und Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit. Denn K. war seit 2005 Wachebeamter in der Justizanstalt Josefstadt, wo S. als Häftling einsaß – gemeinsam sollen sie hinter Gittern einen schwunghaften Handel mit Mobiltelefonen aufgezogen haben.

Das Seltsame: Beide bekennen sich zwar schuldig, wollen aber weder damit angefangen noch viel Geld dabei verdient haben. Sicher ist, dass sich die beiden schon im Jahr 2010 kennengelernt haben. Im Dezember 2012 war S. zum nächsten Mal auf unfreiwilligen Besuch – K. sorgte dafür, dass er in seinen Stock verlegt wurde.

"Unüberlegt angenommen"

"Da habe ich schon mitbekommen, dass er mit einem anderen Hausarbeiter Handys und Fleisch verkauft", behauptet S., der Zweitangeklagte. Als der andere "nach Hause ging", also entlassen wurde, trat der Beamte an ihn heran. "Ich habe das Angebot unüberlegt angenommen."

Zunächst habe er aber ein Problem gehabt: Er hatte weder Grundkapital noch einen Handylieferanten außerhalb der Gefängnismauern. Das änderte sich erst, als auch sein Cousin in Haft kam. "Der hatte einen Handyshop", sagt der Zweitangeklagte.

Laut seiner Darstellung wurde eine Geld- und Geräteübergabe an den Beamten auf einem Parkplatz in Neusiedl organisiert. 1.500 Euro für das Schmuggelrisiko, zehn Handys und Hühnerfleisch soll der Erstangeklagte dort bekommen und in die Anstalt geschmuggelt haben.

Er selbst habe die Handys dann in der Abteilungsküche und dem Bad versteckt und begonnen, sie um 300 bis 400 Euro zu verkaufen. "Was haben Sie dafür bekommen?", fragt Weis. "Nur ein Handy, damit ich mit meinem Sohn telefonieren kann." Und natürlich das Fleisch, um die Gefängniskost aufzubessern.

Bei Kontrolle aufgeflogen

Geld habe er aber nie gesehen, beteuert er. Die Käufer hätten draußen jemanden aufgetrieben, der den Preis an seine Schwester oder einen Bekannten übergeben hätte und die hätten das Geld an die Lebensgefährtin des Beamten überbracht. Aufgeflogen sei die Sache, als im Juli 2013 bei einer Kontrolle die unverkauften Handys entdeckt wurden.

Der Erstangeklagte versucht eine ganz andere Geschichte zu erzählen. "Wessen Idee war es?", will Weis von ihm wissen. "Das weiß ich nicht mehr", hört sie. "Also bitte, Sie haben wegen der Sache Ihren Job verloren, da wird man es doch noch wissen!", zürnt die Vorsitzende. Was offensichtlich K.s Erinnerung beflügelt: "Er ist hunderprozentig zu mir gekommen."

Auf die Frage, warum er mitgemacht habe, folgt ein überraschendes Geständnis: "Ich bin doch ein sozialer Mensch. Der Job war eh nichts für mich, ehrlich", sagt er. Und auch: "Es war die größte Dummheit meines Lebens."

Verblüffenderweise will aber auch er die Dummheit nicht mit dem Verkaufserlös abgegolten bekommen haben. "Ich wollte ihm helfen", gibt er an und fängt sich noch stärkeren Groll der Vorsitzenden ein. "Ihre Freundin hat zweimal 300 und einmal 500 Euro bekommen, die sie Ihnen weitergegeben hat! Sie wissen nicht, wofür Sie Geld bekommen?"

Die Leistung der Samariter

"Wahrscheinlich aus dem Verkauf", hält K. nun doch für möglich. "Um den berühmten Satz nicht zu verwenden: Sie wissen nicht, welche Leistung Sie erbracht haben?", formuliert es Weis. "Es ist also ein Samariter auf den anderen getroffen", kann sie sich nicht verkneifen.

Die Zeugen sind wenig ergiebig – und treiben den Blutdruck der Vorsitzenden weiter in die Höhe. Sie wollen nämlich alle nichts gewusst oder gesehen haben. Und: Dem angeklagten Beamten seien auf dem Parkplatz zwar ein Geldkuvert und Fleisch übergeben worden. Aber niemand will Handys gebracht haben. Ein interessantes Detail: Der Cousin des Zweitangeklagten und dessen Verwandte beteuern, dass er Friseur sei und nie einen Handyshop gehabt habe.

Angeblich habe S. seinem Cousin in Haft gesagt, er brauche das Geld für einen Anwalt. Warum die Scheine dann nicht direkt zum Rechtsvertreter gebracht, sondern stattdessen bei einem konspirativen Treffen an einen Justizwachebeamten übergeben wurden, kann niemand beantworten.

"Ging einfach ums Geld"

Der Senat glaubt am Ende keinem der Angeklagten. "Es ist um nichts anderes gegangen: schlicht und einfach ums Geld", begründet Weis die Strafen. K. wird, bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren, nicht rechtskräftig zu 18 Monaten bedingt verurteilt, S. zu 22 Monaten unbedingt. (Michael Möseneder, 18.9.2015)