Wenn Ursula Stenzel bei der nächsten Aschermittwochsrede Heinz-Christian Straches als dessen Ehrengast in einem riesigen Bierzelt im Innviertel das Gejohle über sich ergehen lassen muss, mit dem die Strache-Anhängerschaft üblicherweise auf seine ressentimentgeladenen Tiraden reagiert, mag es ihr dämmern, dass ihr Mitleid mit dem "Underdog" FPÖ vielleicht doch unangebracht ist.

Anlässlich der Pressekonferenz, bei der sie ihren Knicks vor der FPÖ gemacht hat, hat Frau Stenzel unter anderem deren "Ausgrenzung" bedauert. Nach all den Jahren in Brüssel hätte sie jedoch wissen müssen, dass "Ausgrenzung" ("exclusion") das falsche Wort ist, um den "Cordon sanitaire" zu bezeichnen, mit dem sich die anderen Parteien von der FPÖ distanzieren. "Ausgrenzung" bedeutete im europäischen sozialpolitischen Diskurs, dass bestimmte Personen oder Gruppen, meist schwache Minderheiten, von der Wahrnehmung der ihnen zustehenden demokratischen (Menschen-)Rechte und von der Teilhabe am sozialen und politischen Prozess ausgeschlossen werden. Davon kann im Falle der FPÖ keine Rede sein.

Alle Rechte

Die FPÖ genießt alle ihr zustehenden Rechte; sie darf kandidieren, bekommt Parteienförderung, darf ihre Opposition ausüben, darf peinliche Plakate affichieren; sie hat aber ohne qualifizierte Mehrheit keinen legitimen Anspruch auf Regierung. Dass sie im Bund und in Wien nicht "mitgestalten" darf, ist keine "Ausgrenzung", sondern dem Umstand zu verdanken, dass die anderen Parteien aus Gründen der politischen Hygiene auf die FPÖ als Partner verzichten.

Irgendwann während der eineinhalbstündigen Strache'schen Beschimpfungen, Beschwörungen und Beschuldigungen mag sich Frau Stenzel auch fragen: Ist das der Ton und der Stil, den ich für gut halte und in dem ich mich als Person und als Politikerin heimisch fühle? Hat man von H.-C. Strache schon einmal etwas Freundliches, etwas Nettes, etwas Gütiges gehört, von der Art der wohltuenden Unaufgeregtheit Alexander Van der Bellens oder des lockeren Schmähs von Bürgermeister Michael Häupl? Humor, Gelassenheit und Freundlichkeit scheinen allerdings nicht zu den Stärken von Frau Stenzel zu gehören, wie ich persönlich erfahren habe.

Kein Ohr für Gutes

Seit Jahren findet sich am letzten Samstagnachmittag vor Weihnachten ein Ad-hoc-Chor zusammen, der aus Mitgliedern mehrerer Wiener Chöre und der englischsprachigen Community Wiens besteht und sich in kühner Anspielung auf das große englische Vorbild "The Nineteen" nennt. Zugunsten der Aktion "Nachbar in Not" werden österreichische und englische Weihnachtslieder gesungen. Der Standort ist üblicherweise die Ecke Kohlmarkt/Wallnerstraße (zugegeben nicht gerade eine Nachbarschaft in Not, aber "spendenträchtig").

Da ich meinen weihnachtlichen Gesang nur meiner durch den Christbaum nachsichtig gestimmten Familie zumuten kann, fungiere ich als Sammler. Vor einigen Jahren, nachdem wir an einem eiskalten Nachmittag die Plakatständer "Nachbar in Not" aufgestellt hatten, ging Maria wieder einmal durch den Dornwald, "The Holly and the Ivy" schenkten dem lieben Jesulein alles Mögliche, und es wurde "glei dumpa". Nachdem mir ein vorbeigehender Professorenkollege lieblos zugeflüstert hatte, dass ich ihn an den für das Winterhilfswerk sammelnden "Herrn Karl" erinnerte, und zwei (großzügig spendende) Studenten fragten, ob die Uni finanziell schon so am Sand sei, dass die Professoren auf der Straße betteln müssten, stand plötzlich Frau Bezirksvorsteherin Stenzel im bodenlangen Pelzmantel vor mir und meiner Sammelbox. Statt der erwarteten großzügigen Spende herrschte sie mich an: "Haben Sie eine Genehmigung, sonst müssen Sie sofort Schluss machen."

Nur mit Genehmigung

Wir hatten natürlich eine magistratische Genehmigung, aber mich irritierte der Stenzel'sche Ton. Ich verwies auf die "Nachbar in Not"-Plakate und Sammelboxen und darauf, dass hier offensichtlich 20 Sängerinnen und Sänger einen der kostbarsten Nachmittage des Jahres zugunsten einer karitativen Aktion opferten. Darauf Frau Stenzel: "Das interessiert mich nicht. Haben Sie eine Genehmigung, wenn nicht, dann rufe ich die Polizei." Ich sagte, den Anruf könne sie sich sparen, die Polizei sei schon da gewesen. Tatsächlich hatten zwei Polizisten ein bisschen zugehört, freundlich nach der Genehmigung gefragt und nach meiner Zusicherung, dass es eine gebe, auf deren Vorlage verzichtet. Frau Stenzel entgegnete darauf verärgert, ich hätte ihr doch gleich sagen müssen, dass es eine Genehmigung gebe – und sie bestand darauf, diese zu sehen.

Da nicht ich das Schriftstück hatte, sondern der gerade singende Jeremy, der das Event organisiert hatte, blieb der obersten Bürokratin des ersten Bezirks nichts anderes übrig, als sich dünnlippig mehrere kunstvolle Variationen von "We Wish You a Merry Christmas" anzuhören. Nach einem Blick auf die Genehmigung ging sie wort- und grußlos ab.

Es scheint der drohende Verlust dieser Art von kleinkarierter Gschaftlhuberei zu sein, der sie bewogen hat, zur Schutz(pelz)mantelmadonna der FPÖ zu mutieren.

Da Sie fragen: Nein, sie hat nichts gespendet. (Karl Heinz Gruber, 16.9.2015)