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Der Rubel soll bald nicht mehr das alleinige Zahlungsmittel auf den russischen Märkten sein.

Foto: Reuters / I. Naymushin

Im Vorjahr 11,4 Prozent Inflation, heuer seit Jahresbeginn auch schon über zehn Prozent: Die Russen spüren die Krise deutlich. Insbesondere die Lebensmittelpreise haben deutlich zugelegt. Als weiterer Preistreiber erwiesen sich die deutlichen Tarifanhebungen bei den Wohnnebenkosten. Können die Russen am neuen Auto oder dem Skiurlaub in die Alpen sparen (und dies tun sie auch), so treffen diese Ausgaben alle. Essen und wohnen müssen sie – ungeachtet, ob arm oder reich.

Gerade für Rentner und Geringverdienende ist das Leben deutlich schwieriger geworden, denn ihre Rubelbezüge sind weit weniger gewachsen. Nach Angaben der russischen Statistikbehörde lebten 21,7 Millionen Russen im ersten Halbjahr unterhalb der Armutsgrenze, die bei 10.000 Rubeln (gut 130 Euro) liegt. Das entspricht 15,5 Prozent der Gesamtbevölkerung und ist ein Anstieg von fast drei Millionen Armen gegenüber dem Vorjahr.

Schuld daran ist in erster Linie der Ölpreisverfall. Aber auch die russische Regierung hat ihren Teil dazu beigetragen. Im Sanktionsscharmützel mit dem Westen stoppte sie Lebensmittelimporte aus Europa und Nordamerika und kurbelte damit die Preisspirale in dem Sektor kräftig an.

Keine Analogie zur Sowjetzeit

Nun sollen zumindest die sozial Schwachen mithilfe einer Lebensmittelkarte Erleichterungen erhalten. Diese Karten dürften nicht mit dem sowjetischen System zur Rationierung und Verteilung defizitärer Waren verwechselt werden, betonte Vize-Industrieminister Wiktor Jewtuchow. "Es geht um eine moderne, zielgerichtete Lebensmittelhilfe für die Bevölkerung und die Unterstützung effizienter einheimischer Produkthersteller", sagte er. Die neue Lebensmittelkarte soll dem Konzept des Industrieministeriums zufolge wie eine Bankkarte aussehen und dem Inhaber Rabatte auf bestimmte Lebensmittel einräumen, wobei die Begünstigten das Recht haben, zwischen der Rabattkarte und direkten Geldzuschüssen aus der Region zu wählen. Ob auf die Karte eine bestimmte Summe gebucht wird oder ob es prozentuell Ermäßigungen gibt, ließ Jewtuchow offen.

Unklar ist auch noch, wie die Karte implementiert werden soll. In der Provinz, wo die Armut am größten ist, sind Kartenlesegeräte kaum verbreitet. Die russische Regierung muss neben den technischen Fragen auch noch klären, welche Lebensmittel subventioniert werden. Jewtuchow erklärte dazu lediglich, dass die künftigen Karteninhaber "ein ziemlich breites Assortiment an Lebensmitteln mit Rabatt kaufen können."

In jedem Fall geht es dabei nur um in Russland hergestellte Produkte. Trotz der Nebenwirkungen hält der Kreml am deklarierten Ziel der Importverdrängung fest. Premier Dmitri Medwedew war deshalb zu Wochenbeginn sogar auf einer Messe, die sich speziell diesem Thema widmete. Trotz der dort deklarierten Erfolge ist Moskau von der Selbstversorgung aber noch ein gutes Stück entfernt: Weder in der Fleisch- noch in der Milchproduktion hat Russland Autarkie erreicht. Mit einem Fiasko endete die Lachsaufzucht nahe Murmansk: 700 Tonnen Lachs muss der Hersteller Russkoje More wegen einer Epidemie in diesem Sommer entsorgen. Das riecht nach einer weiteren Teuerungswelle. (André Ballin aus Moskau, 17.9.2015)