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Ein Flüchtling und sein Sohn warten auf der serbischen Seite des Grenzzauns.

Foto: AP / Matthias Schrader
Grafik: DER STANDARD

Dicke Schweißperlen rollen über ihre Gesichter. Die drückende Mittagshitze macht Flüchtlingen wie Sicherheitskräften an der ungarisch-serbischen Grenze bei Röszke zu schaffen. Auch die Wartenden an der Autokolonne davor suchen Zuflucht im Schatten am Straßenrand. Polizisten haben eine Menschenkette gebildet, vor der sich grüppchenweise Journalisten, Kameraleute und ungeduldig rauchende Lkw-Fahrer versammeln. Auskunft gibt es keine. Niemand weiß, wie es weitergehen wird.

Alle Blicke sind hinter die mannshohen Straßenbarrikaden gerichtet. An die 2.000 Flüchtlinge sollen dort demonstrieren und sich im Hungerstreik befinden. Zu groß ist deren Unverständnis, so kurz vor dem Ziel aufgehalten zu werden. Zudem gehen im Laufe des Dienstags Gerüchte um. Demnach würde jenen Flüchtlingen, deren Asylanträge von Ungarn abgelehnt würden, der Zutritt zu Schengen-Ländern für ein Jahr untersagt.

Seit Montagnachmittag ist die Grenze für Flüchtlinge geschlossen, seit Dienstag gelten in Ungarn verschärfte Asylgesetze. Viele Details sind nach wie vor unklar, etwa der Umgang mit Asylsuchenden unter 15 Jahren. Von den Flüchtlingen hinter den Barrikaden sind nur ihre abgetretenen Schuhe zu erkennen. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie viele Kilometer ihre Besitzer bis an die ungarische Grenze zurückgelegt haben. Eine raue Männerstimme ertönt durch ein Megafon. Die Menge antwortet mit Schreien. Ungerührt von alledem glitzern an den Seiten des Übergangs die Stacheln des 175 Kilometer langen Zauns im Sonnenlicht.

Polizisten stopfen Lücken

Die erste Nacht seit Schließung der Grenze hat bereits einige Spuren hinterlassen. Einzelne Schuhe, zerrissene Kleiderstücke, ein schmutziger Teddybär – alle paar hundert Meter zeugen jene Reste in den Drähten von erfolgreichen oder missglückten Grenzübertritten. Am Dienstagmorgen wurden die allerletzten Lücken von kontrollierenden Polizisten geschlossen. Vor den Augen passierender Flüchtlinge klemmen sie die Drähte mit Zangen und mitgebrachtem Werkzeug wieder zusammen.

Die Aktion gleicht einem Provisorium. Schnell geht es für die Gruppe weiter zum nächsten Loch im Zaun, nur wenige Meter entfernt. Die angekündigten Registrierungspunkte entlang der Grenze sind auch am Dienstagvormittag nicht fertiggestellt. An einem der Punkte warten etwa zehn blitzblaue Container aneinandergereiht auf ihren Einsatz. Teilweise stehen frisch bezogene Betten darin.

Die Zufahrt zum Checkpoint ist holprig. Tiefe Reifenspuren zeugen von den schweren Maschinen. Ein paar Rot-Kreuz-Helfer laden den Kofferraum eines Privatautos aus, packen sich Wasserflaschen unter die Arme und verschwinden in den Containern. "Hier ist kein Zugang, wir arbeiten hier", gibt ein Polizist in harschem Ton zur Kenntnis. Wenige Meter hinter ihm nähert sich eine Gruppe Flüchtlinge. Unsicher blicken sie durch den Zaun auf die Container und die Polizisten. Bis hierher, etwa zwei Kilometer vom Grenzübergang entfernt, sind die Schreie der protestierenden Menge zu hören. Für die meisten von ihnen gibt es erst einmal nur eine Möglichkeit, nach Westeuropa zu gelangen: den Marsch entlang des Zauns entweder Richtung Osten nach Rumänien oder gen Westen nach Kroatien.

Ungarn kündigt Grenzzaun zu Rumänien an

Während sie sich auf den Weg machen, kündigt der ungarische Außenminister Péter Szijjártó bereits die Erweiterung des Grenzzauns an. "Wir werden in Rumänien auch einen Grenzzaun errichten", sagte er der ungarischen Nachrichtenagentur MTI.

Um quasi auf Nummer sicher zu gehen, hat Ungarn am Dienstag auch wie erwartet den Krisenzustand über die beiden südlichen Bezirke Bács-Kiskun und Csongrád verhängt. Somit können Behörden Asylanträge im Schnellverfahren abwickeln, und zwar "binnen Stunden", wie ein Sprecher der Regierung betonte.

Unterdessen berichteten ungarische Medien, dass Hilfsorganisationen am Budapester Bahnhof Keleti zusammenpacken würden. Der Reiseverkehr verlaufe wieder normal. Dort, wo vor kurzem noch tausende Flüchtlinge auf die Weiterreise in Richtung Westen gewartet hatten, befand sich kein einziger Schutzsuchender mehr. (Daniela Neubacher aus Röszke, 15.9.2015)