Richard Swartz bei sich zu Hause. Von hier hat er es nicht weit zum Wiener Flohmarkt.

Foto: Christian Benesch

Richard Swartz, "Wiener Flohmarktleben", erscheint am 28. September im Verlag Zsolnay, 192 Seiten, 19,50 Euro.

Eine Lesung hält der Autor am 22. 9. um 19 Uhr in der Alten Schmiede, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien.

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Sensationsfunde kommen höchst selten vor. Hier ein Flohmarkt in Brooklyn.

Foto: AP/Harpaz

Richard Swartz empfängt in seiner Wohnung im sechsten Wiener Bezirk, wo viele blitzblank polierte Glasobjekte zu sehen sind. Es gibt auch Tauben aus Stein, Kerzenhalter und viele Bilder an den Wänden. Hier, in einer ehemaligen Hutfabrik mit tiefen Zimmerfluchten, verbringt der Osteuropa-Experte drei bis vier Monate des Jahres. Ist er in Wien und ist Samstag, spaziert er seit Jahrzehnten zum Flohmarkt am Naschmarkt. Außer es regnet in Strömen.

STANDARD: Was macht die Seele eines Flohmarktes aus?

Richard Swartz: Dass er kein Supermarkt ist. Wenn ich in einen Supermarkt gehe, weiß ich, was ich kaufen will: Milch, Eier, Salami, was auch immer. Ich werde auch alles bekommen. Auf einem Flohmarkt wissen Sie nicht, was Sie finden werden. Das hat etwas mit Abenteuer zu tun. Ein Flohmarkt ist kein Billa, er ist eher mit Goldwäscherei zu vergleichen, um es romantisch auszudrücken.

STANDARD: Was sind das für Menschen, diese Flohmarktfreaks wie Sie? Romantische Nostalgiker?

Swartz: Es handelt sich um eine bunte Mischung. Die meisten sind abenteuerlich angehaucht und auch nie ganz erwachsen geworden. Diese Menschen sind Träumer und Sammler.

STANDARD: Die es in unseren digitalen Zeiten nicht unbedingt leichter haben.

Swartz: Ein Flohmarkt passt nicht in die virtuelle Welt. Auf dem Flohmarkt greift man Dinge an, überprüft sie mit strengem Auge. Es geht um ein Erfahren mit allen Sinnen, das hat mit Ebay nichts zu tun. Sehen Sie, ich hab hier in meiner Wiener Wohnung ein riesengroßes, vollgestopftes Bücherregal. Wozu? Ich kann all diese Bücher im Computer lesen. Aber es geht nicht nur um das Lesen von Texten. Das Buch ist ebenso ein Gegenstand, ein Objekt. Und das Objekthafte macht den Sinn des Flohmarktes aus.

STANDARD: Wie wird die Zukunft der "Dinge von gestern" aussehen? Ein Flohmarkt ist ein Sinnbild für diese.

Swartz: Schauen Sie sich an, wie die Menschen darauf reagieren, wenn der IS antike Denkmäler sprengt. Sie sind empört, dabei wissen viele nicht einmal, dass es diese Tempel überhaupt gab, und interessieren sich im Prinzip gar nicht dafür. Dennoch sind sie erbost, wenn Menschen Dinge zerstören. Ich denke, es liegt in unserer Natur, Dinge zu bewahren. Gerade weil sich der Flohmarkt ausschließlich mit der Vergangenheit beschäftigt, sage ich ihm auch eine große Zukunft voraus.

STANDARD: Das klingt, als glaubten Sie an eine Seele von Objekten.

Swartz: Lassen Sie es mich folgendermaßen sagen: Vielleicht haben Dinge keine Seele, aber auf jeden Fall sprechen sie zur Seele und stellen eine Verbindung zu ihr her. Das geschieht öfter, als Sie glauben. Es gibt Gegenstände, ohne die ich sehr unglücklich wäre.

STANDARD: Zum Beispiel?

Swartz: Diese Figur hab ich in meiner Jugendzeit bei einem Trödler in Stockholm gefunden. (Richard Swartz holt ein daumengroßes Figürchen aus Elfenbein und legt es vor sich hin, Anm.) Ich weiß eigentlich immer noch nicht, was das für ein kleines Kerlchen ist. Der ältere Herr, der sie mir verkaufte, behauptete, die Figur stelle einen portugiesischen Kaufmann dar, wie ihn ein Künstler in einem alten afrikanischen Reich sah. Es ist mir egal, ob die Geschichte stimmt. Der Verlust dieses Männleins würde mich sehr traurig machen.

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Wieviel Mensch steckt noch in den Objekten, die am Flohmarkt gekauft werden?
Foto: ap/duarte

STANDARD: Inwiefern beeinflussen Dinge die Zeit?

Swartz: Wissen Sie, welche Figuren die populärsten auf Flohmärkten sind? Abgesehen von Jesus und Maria heißen diese Hitler, Kaiser Franz Joseph und Stalin. Ich meine, Jesus und Franz Joseph, okay. Aber was machen die Menschen, die eine Figur von Stalin oder Hitler kaufen? Die stellen die irgendwo zu Hause auf, um eine Verbindung zu dieser Zeit herzustellen. Man könnte so weit gehen und sagen, das Dritte Reich existiert auf dem Flohmarkt in gewisser Weise weiter. Das ist erschreckend und ein Einfluss von Dingen auf die Zeit ...

STANDARD: ... und verboten ...

Swartz: Gehandelt wird auch mit jeder Menge anderer Nazi-Devotionalien wie Medaillen, Fotos, Bücher oder Briefmarken. Wie soll man das kontrollieren? Ich glaube, dass die Exekutive den Flohmarkt tunlichst meidet.

STANDARD: Ein Objekt, das man am Flohmarkt kauft, hat in der Regel zuvor einem anderen Menschen gehört. Wie viel von diesem Menschen steckt noch in einem Objekt, sei es nun ein Schmuckstück oder eine Nähmaschine.

Swartz: Nun, wir wissen meistens nicht, wem ein Objekt einst gehörte. Aber genau das öffnet eine Tür zur Fantasie, zu Geschichten aus dem Gestern, die ins Heute wandern.

STANDARD: Wann werden diesbezüglich Grenzen des Intimen überschritten? Oder anders gefragt: Was würden Sie auf einem Flohmarkt niemals kaufen?

Swartz: Ein Flohmarkt hat auch etwas Obszönes an sich. Man tritt unbekannten Menschen mitunter zu nahe. Es ist schwer zu sagen, wo Grenzen überschritten werden. Ich würde keine Kleider kaufen, keine Schuhe und auch kein Rasiermesser.

STANDARD: Aber nicht aus Angst, sich Flöhe mit nach Hause zu nehmen. Daher hat der Flohmarkt ursprünglich seinen Namen.

Swartz: Ha, das wusste ich gar nicht. Nein, aus Gründen des Respekts. Das halte ich für äußerst heikel.

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"Ich würde keine Kleider kaufen, keine Schuhe und auch kein Rasiermesser." (Hier eine Flohmarktszene in Porto)
Foto: ap/duarte

STANDARD: Wie viele Dinge haben Sie auf Flohmärkten im Laufe Ihres Lebens gekauft?

Swartz: Das kann ich nicht sagen. Ich glaube auch nicht, dass Sammler Buch führen.

STANDARD: Schätzen Sie, 100, 1.000?

Swartz: Sicher mehr als 1.000 verschiedenste Dinge.

STANDARD: Wird der Flohmarktgänger automatisch zum Sammler?

Swartz: Das gehört absolut zusammen.

STANDARD: Warum sammeln Menschen?

Swartz: Weil sie gewisse Objekte lieben, und das kann zur Obsession werden. Es hat unbewusst auch damit zu tun, dass eine Sammlung nie abgeschlossen werden kann. Eine Sammlung ist ein Perpetuum mobile. Es gibt immer noch ein Stück, das fehlt.

STANDARD: Ein Sichwehren gegen die Vergänglichkeit?

Swartz: Durchaus. Eine Strategie gegen den Tod. Sammler wollen etwas festhalten, was nicht festzuhalten ist. Es gibt kein Ende.

STANDARD: Wie verhält es sich mit Sensationsfunden, mit dem Traum, einen Rembrandt unter einem Stapel Teppichen zu finden? Ist auch er eine Motivation für Flohmarktfreaks?

Swartz: Selbstverständlich. Alle möchten wir so einen Rembrandt zu einem Spottpreis finden. Leider kommt das kaum vor. Der Flohmarkt holt einen auch auf den Boden zurück.

STANDARD: Ihr glücklichster Fund?

Swartz: Das ist ein Biedermeier-Gefäß in der Form einer Ananas. Sie hat so gut wie kein Geld gekostet. Auch das unterscheidet den Flohmarkthändler oftmals von anderen Händlern. Es gibt immer die Hoffnung, dass er gar nicht weiß, was er für Schätze hat.

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Flohmarktszene mit Shrek-Puppe in Porto.
Foto: ap/duarte

STANDARD: Wie denken Sie über das Verhandeln von Preisen auf dem Flohmarkt? Manchen Menschen ist das unangenehm.

Swartz: Weil das Feilschen eine Verneinung des Gegenübers bedeutet. Wenn der Händler zehn Euro sagt und ich erwidere acht Euro, dann ist das eine Missachtung von Würde, ein Misstrauen. In manchen Kulturen gehört es dazu, in anderen wird man dafür bestraft.

STANDARD: Inwiefern?

Swartz: Nun, sag ich acht Euro, wenn der Händler zehn will, wird er darauf den Preis auf zwölf Euro erhöhen.

STANDARD: Apropos Händler: In Ihrem neuen Buch "Wiener Flohmarktleben" geht es auch um eine Rang- und Hackordnung auf Flohmärkten. Auch diese scheint ein Charakteristikum zu sein.

Swartz: Die Hierarchien auf dem Flohmarkt spiegeln eine ganze Gesellschaft wider, und das auf brutale Art. Da sind etablierte Händler mit schönen Läden in guten Lagen, die sich getarnt unters Flohmarktvolk mischen ebenso wie die Leute, die von vielen "Tschuschen" genannt werden und ihre Dinge aus der Not heraus verkaufen müssen.

STANDARD: Eine wichtige Rolle in Ihrem Buch spielt ein altes bemaltes Glas mit einer Wiener Stadtansicht auf einem Flohmarkt ... was passiert damit?

Swartz: Es geht um ein Glas, das ich in meiner Kindheit bei meiner Großmutter in Wien gesehen habe. Sie war auch eine große Flohmarktgängerin ... Das Glas geht kaputt, und viele Jahre später sehe ich ein sehr ähnliches Glas auf dem Flohmarkt in Wien, als er noch auf dem Hohen Markt untergebracht war. Aus irgendeinem Grund kauf ich es nicht.

STANDARD: Den Rest lesen wir in Ihrem Buch.

Swartz: Hoffentlich. (Michael Hausenblas, Rondo, 22.9.2015)