Früher einmal war Hermès ein Fachbetrieb für Zaumzeuge und Pferdegeschirre. Das ist lange her. Die Tradition lebt aber fort.

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Nachdem die Menschen zu dieser Zeit Pferdekutschen benutzten, war das ein gutes Geschäft.

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Rue de Faubourg Saint-Honoré Nummer 24: In der Luxusbranche hat diese Adresse in der Pariser Innenstadt einen klingenden Namen. Hier ist das Stammhaus von Hermès, jenem milliardenschweren Familienunternehmen, auf das die Franzosen ähnlich stolz sind wie die Österreicher auf ihre Lippizaner. Hier befindet sich der große Flagshipstore, vor dem die Menschen Schlange stehen, um Taschen für mehrere tausend oder Carrés für mehrere hundert Euro erwerben zu dürfen. Die Mietpreise in dieser Gegend gehören zu den teuersten der Stadt. Und dennoch werken oben unter dem Dach bis heute die Handwerker. Sattler, Zaumzeugmacher und Lederschneider. Jedes andere Unternehmen hätte die Produktion schon längst in die Vorstadt (oder gleich nach China oder Kambodscha) ausgelagert. Nicht so Hermès.

Die hauseigene Sattlerei als Herzstück des Unternehmens zu bezeichnen, wäre etwas übertrieben. Mit Sicherheit ist sie aber jener Teil von Hermès, der die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet. Rund 450 Sättel werden jedes Jahr in den verwinkelten und an diesem Sommertag brütend heißen Werkstätten hergestellt, an jedem Einzelnen von ihnen werkt ein Handwerker mindestens 30 Stunden lang. "Mithilfe der Herstellungsnummer auf der linken Innenseite des Sattels können wir nachvollziehen, durch wessen Hände der Sattel gegangen ist", erklärt einer der Arbeiter. 15 von ihnen arbeiten hier, viele von ihnen seit ihrer Lehrzeit.

Symbolisches Kapital

Mit Zaumzeug und Pferdegeschirr hat bei Hermès alles angefangen, in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts war das, als der in Krefeld geborene Sattler Thierry Hermès in Paris sein erstes Geschäft nahe der Madeleine eröffnete. Nachdem die Menschen zu dieser Zeit Pferdekutschen benutzten, war das ein gutes Geschäft. Heute verdient Hermès mit Sätteln wohl kaum mehr Geld, ja sehr wahrscheinlich sind sie ein Verlustgeschäft.

Und dennoch tut man alles dafür, dass jener Bereich, der am Anfang der Firmengeschichte stand, weiterhin einen prominenten Platz beim Luxuslederwarenhersteller einnimmt. Hier liegt das symbolische Kapital der Marke, und es gibt wohl viele Unternehmen, die die französische Firma darum beneiden. In den vergangenen Jahren sind in der Luxusbranche Werte wie Tradition, Qualität und Handwerk wieder vermehrt in den Vordergrund gerückt. Das hat sicherlich mit der wirtschaftlichen Krisenstimmung zu tun. Statt schneller Trends ist Langlebigkeit gefragt.

Hermès ist der Inbegriff davon. In der Vergangenheit wurde die alte Tante der Luxusindustrie deswegen mitunter belächelt, statt der jungen It-Crowd stattete man die bürgerliche Stammklientel aus, mit Veränderungen hielt man sich zurück. Die Kompromisslosigkeit, die man bei der Produktqualität an den Tag legte, ließ Mitbewerber, die auf die schnelle Marge schielten, manchmal den Kopf schütteln.

Gefertigt in Lyon

Noch heute werden die berühmten Carrés ausschließlich aus brasilianischer Maulbeerseide in Lyon gefertigt, noch heute benötigen die (französischen) Arbeiter zwischen 15 und 20 Stunden, um eine der sagenumwobenen Hermès-Taschen in Handarbeit herzustellen. Das alles hat seinen (mehr als stattlichen) Preis, ist allerdings gegenüber der Konkurrenz, die oftmals keine Probleme damit hat, in fernostasiatischen Sweatshops unter unwürdigen Bedingungen fertigen zu lassen, ein zunehmend wichtiger werdender Wettbewerbsvorteil.

Bei Hermès weiß man das natürlich in die Auslage zu stellen und schickt die Handwerker regelmäßig auf Reisen. Festival des Métiers heißt das Format, das jetzt erstmals auch in Wien Station macht. Handwerker aus neun unterschiedlichen Métiers zeigen, wie Carrés, Taschen, Sättel, Handschuhe oder Uhren gefertigt werden. Per Hand natürlich, an einer Werkbank. So schnell wird sich daran nichts ändern. (Stephan Hilpold, Rondo, 21.9.2015)