Das Open-Source Betriebssystem Linux wird weder Windows noch OS X vom Desktop verdrängen. Linux setzt sich momentan eher in Marktsegmenten durch, wo man es weniger deutlich wahrnimmt, sei es in der Form von Android auf Smartphones und Tablets, sei es auf Servern in der Cloud oder in elektronischen Geräten (Embedded Devices).

Das bedeutet aber keinesfalls, dass der Desktop aus Linux-Sicht tot ist. Vielmehr haben alle, die für ihr Notebook oder für den PC eine Alternative zu Windows & Co. suchen, die Auswahl zwischen zahlreichen Linux-Distributionen.

Marktführer Ubuntu

Seit die Firma Canonical im Jahr 2004 Ubuntu vorstellte, dominiert diese kostenlose Linux-Distribution den Desktopmarkt für Privatanwender gleichsam nach Belieben. Auch viele Unternehmen, soweit diese überhaupt Linux einsetzen, geben Ubuntu den Vorzug gegenüber anderen Distributionen.

Das Erfolgsrezept von Ubuntu war denkbar einfach: Ubuntu war die erste große Distribution, die konsequent ein ansprechendes Aussehen, eine einfache Bedienung und die unkomplizierte Installation von Zusatztreibern in den Vordergrund stellte. Technische Details oder die Implementierung der allerneuesten Linux-Features waren stets zweitrangig. Die Mottos "It just works" und "Linux for human beings" werden bis heute mit Ubuntu verbunden. Für viele Menschen sind Ubuntu und Linux gar Synonyme.

Mit der Konstanz eines Schweizer Uhrwerks veröffentlicht Canonical im Halbjahresrhyhtmus neue Versionen von Ubuntu. Die nächste Entwicklerversion wird im Oktober 2015 fertig werden, die nächste Version für die Langzeitanwendung im April 2016.

Chromixium Chrome: So kann ein auf Ubuntu-basierender Desktop aussehen.
Foto: Marion die Webbutterfly

Mit dem Hype um neue Ubuntu-Versionen ist es allerdings vorbei: Während Ubuntu in der Vergangenheit mit neuen Fensterlayouts oder einem eigenen App Store gleichermaßen Begeisterung und Befremden auslöste, ist die Entwicklung neuer Funktionen für Desktop-Anwender in den letzten Jahren fast vollständig zum Erliegen gekommen. Stattdessen versucht Canonical neue Märkte zu erschließen: Zuerst stand eine Ubuntu-Version für TV-Geräte im Vordergrund, nun konzentrieren sich die Entwickler auf eine Smartphone-Variante. Die Erfolgschancen dieser Initiativen sind zweifelhaft, zumal hier selbst Microsoft mit einem ungleich größeren Budget vor dem Scheitern steht.

Aufsteiger Linux Mint

Der stotternde Ubuntu-Motor gibt den anderen Linux-Distributionen die Chance, verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Echtes Engagement ist in dieser Hinsicht aber nur bei Linux Mint zu sehen: Diese Distribution zählt im deutschen Sprachraum erstaunlicherweise noch immer zu den Exoten. Auf der Rangliste der Webseite DistroWatch.com rangiert Mint aber schon seit Jahren auf Platz 1.

Aus technischer Sicht basiert Linux Mint auf Ubuntu. Optisch ist dies aber nicht zu erkennen, denn Linux Mint ersetzt wichtige Kernkomponenten durch eigene Programme: In Mint wurde nicht nur die Desktopumgebung an sich ausgetauscht ("Cinnamon"), Mint verwendet auch einen eigenen Dateimanager, eigene Systemeinstellungsmodule sowie diverse kleinere Zusatzprogramme. Multimedia-Komponenten, die bei Ubuntu nachträglich installiert werden müssen, liefert Linux Mint standardmäßig gleich mit.

Linux Mint mit "Cinnamon"-Oberfläche.

Linux Mint setzt damit fort, was Ubuntu begonnen hat: die konsequente Ausrichtung auf Bedienungsfreundlichkeit. Insofern könnte man sagen, Linux Mint ist mittlerweile das bessere Ubuntu. Gegen den Einsatz von Mint sprechen eigentlich nur zwei Argumente: Zum einen finden sich im Netz viel mehr Anleitungen und Tipps für Ubuntu, was vor allem bei der Behebung von Problemen ein Vorteil ist. Zum anderen steht hinter Ubuntu eine relativ große Firma, während Linux Mint eine Initiative weniger Linux-Enthusiasten ist. Es gibt weder kommerziellen Support noch irgendwelche Sicherheiten, ob und wie Linux Mint weiterentwickelt wird.

Debian für Open-Source-Puristen

Abseits von Ubuntu und Linux Mint sind im Desktop-Segment seit Jahren bzw. Jahrzehnten bekannte Namen der Linux-Welt vertreten, insbesondere Debian, Fedora und openSUSE. Debian zählt zu den Dinosauriern der Linux-Geschichte, ist aber keineswegs vom Aussterben bedroht. Die aktuellen Debian-Version 8 ist spricht nicht nur für Entwickler oder Server-Administratoren an, sondern macht mit einem (einigermaßen) aktuellen Gnome-Desktop auch auf Notebooks oder PCs eine gute Figur.

Zu einer echten Hürde können aber Treiberprobleme werden: Proprietäre Treiber widersprechen der Debian-Philosophie, die die Freiheit von Open-Source-Software an erste Stelle setzt. Die Installation solcher Treiber ist aber zur Nutzung neuer Grafikkarten oder Netzwerkadapter mitunter notwendig; sie erfordert unter Debian deutlich mehr Know-how als bei anderen Distributionen und überfordert Einsteiger.

Fedora: Die Zukunft von Linux schon heute

Fedora wird von der Firma Red Hat als Spielwiese verwendet, um neue Funktionen zu entwickeln und auszuprobieren. Fedora enthält außerdem immer die allerneuesten Features des Kernels, der Grafiksystems und der Benutzeroberfläche Gnome -- oft selbst dann, wenn diese offiziell noch im Betazustand sind. Was sich bewährt, findet später Einzug in das kommerzielle Red Hat Enterprise Linux. Insofern ist Fedora eine wunderbare Testumgebung, um einen Blick in die Zukunft von Linux zu werfen. Auch Entwickler, die Wert auf aktuelle Compiler- und Bibliotheks-Versionen legen, entscheiden sich gerne für Fedora.

Fedora.

Für Linux-Einsteiger ist Fedora naturgemäß nicht die beste Wahl. Abschreckend wirkt das Installationsprogramm, das bei der Partitionierung der Festplatte außergewöhnlich umständlich zu bedienen ist. Auch die Installation proprietärer Grafiktreiber für neue NVIDIA- oder AMD-Grafikkarten ist deutlich komplizierter als z.B. bei Ubuntu. Von diesen Einschränkungen abgesehen verhielten sich die letzten Fedora-Versionen aber weit besser als ihr Ruf: Im Alltagseinsatz gab es bei der Bedienung kaum Unterschiede zu anderen Distributionen.

openSUSE -- Quo vadis?

openSUSE ist der freie Zweig der im deutschen Sprachraum ehemals ungemein erfolgreichen kommerziellen SUSE-Distribution. openSUSE-Versionen erscheinen ca. im Jahresrhythmus. Ein Alleinstellungsmerkmal von openSUSE ist das Konfigurationswerkzeug YaST. Seine unzähligen Module sind ähnlich allumfassend wie die Systemeinstellungen von Windows -- aber zum Teil leider auch ebenso unübersichtlich organisiert.

Trotz mehrerer optisch ansprechender und von der Presse gelobten openSUSE-Versionen befindet sich das openSUSE-Projekt seit Jahren in einer Sinnfindungskrise. Wegen des Support-Zeitraums von nur ca. 18 Monaten ist die Distribution für den Langzeiteinsatz ungeeignet. Gleichzeitig kann openSUSE bei der Entwicklung neuer Features bzw. bei der Aktualität nicht mit Fedora mithalten; damit gibt es für Linux-Enthusiasten und -Programmierer wenig Gründe, gerade openSUSE einzusetzen.

Diese Probleme haben auch die openSUSE-Entwickler erkannt und für Oktober das neu konzipierte "openSUSE Leap" mit der willkürlichen Versionsnummer 42.1 angekündigt. Der Plan geht dahin, als Unterbau für openSUSE künftig die kommerzielle SUSE-Distribution zu verwenden. Das verspricht Stabilität und spart dem vergleichsweise kleinem openSUSE-Entwicklerteam Zeit und Mühe. Dieses kann sich darauf konzentrieren, openSUSE mit einem aktuellen Kernel sowie aktuellen Desktop-Komponenten zu garnieren.

OpenSUSE.
Foto: Opensuse

Das Ergebnis soll ein attraktiver Mix aus Stabilität und Aktualität werden. Gleichzeitig soll sich der Support-Zeitraum verlängern, wobei es dafür aber noch keine konkreten Angaben gibt. Es bleibt zu hoffen, dass der Neustart des openSUSE-Projekts gelingt -- viele weitere Chancen wird es wohl nicht mehr geben.

Geheimtipp CentOS

CentOS ist eine kostenlose Variante von Red Hat Enterprise Linux. CentOS ist bei Server-Administratoren sehr beliebt, spielt im Desktop-Segment aber keine Rolle. Das hat sicherlich mit dem umständlichen, von Fedora übernommenen Installationsprozess zu tun; auch der vergleichsweise alte Software-Stack spielt hier eine Rolle. Aber wer auf die neueste Version von Gnome oder LibreOffice verzichten kann, erhält dafür eine simple Bedienung und vom Marktführer Red Hat zusammengestellte Software-Updates bis 2024! Keine andere der hier vorgestellten Linux-Distribution kann damit aufwarten.

CentOS ist insofern optimal geeignet für Installationen, die über einen langen Zeitraum bei minimaler Wartung laufen sollen, sei es in der Hotel-Lobby, in Schulen oder auf selten genutzten Senioren-Notebooks (sprich: auf Rechner von an der EDV uninteressierten Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln).

Fazit

Zu den größten Stärken von Linux zählt seit jeher seine Vielseitigkeit. Diese zeigt sich in den vielen Anwendungsmöglichkeiten: Linux läuft nicht nur auf Notebooks oder Desktop-PCs, sondern gleichermaßen auf Servern, in der Cloud, in Embedded Devices oder auf Minicomputern wie dem Raspberry Pi.

Im Desktop-Bereich ist die Vielseitigkeit von Linux aber mitunter ein Nachteil: Bevor ein Problem unter Linux behoben werden kann, muss oft genau ergründet werden, um welche Distribution in welcher Version es sich handelt. Insofern sind Einsteiger gut beraten, sich für eine populäre Distributionen wie Ubuntu zu entscheiden. Das erleichtert es später, gegebenenfalls Hilfe zu bekommen. (Michael Kofler, 15.9. 2015)