Angela Denoke als nach Ebenmaß und Wohlklang klingende Königin in Heinrich Marschners Oper "Hans Heiling" im Theater an der Wien.


Wien – Dass wahre Mutterliebe keine Grenzen kennt, weiß jedes Kind. Die Stadt Wien etwa hat vor einiger Zeit einer Opernunternehmung das Leben geschenkt und nährt ihr Kind nun schon das zehnte Jahr an der Brust ihres Kulturbudgets. Das Theater an der Wien bedankt sich für die Zuwendungen in seinem Jubeljahr mit einem liebevoll zusammengestellten Saisonprogramm.

So gönnt man sich neben Ausflügen in die Barockzeit und in die Moderne etwa ausnahmsweise mal einen Wagner (Der fliegende Holländer in der Urfassung und auf Originalinstrumentarium). Den musikgeschichtlichen Weg zu Wagner hin deutlich machen soll ein Werk, dem die erste Premiere der Saison gilt: Heinrich Marschners Hans Heiling.

Der Langzeitintendant des Theaters an der Wien, Roland Geyer, hat die Inszenierung dieser 1833 uraufgeführten romantischen Oper kühn einem fast unerfahrenen Regisseur anvertraut, sich selbst. Geyer kann erst auf eine szenische Leitungsfunktion verweisen, jene kurzfristig zustande gekommene von Hoffmanns Erzählungen am eigenen Hause vor drei Jahren. Hier weist der Wiener Parallelen zu Katharina Wagner auf, die als Regisseurin auch nur mit sich als Intendantin zusammenarbeitet.

Eduard Devrients Libretto von Hans Heiling basiert auf der gleichnamigen böhmischen Sage. Heiling, der zwergenhafte König der unterirdischen Erdgeister, verliebt sich als reicher Graf in die überirdische Schönheit Anna. Die Heirat ist beschlossen, der kernige Jäger Konrad zieht den Kürzeren. Doch dann funkt Heilings Mutter, die Königin, dazwischen und klärt Anna über die Herkunft ihres Bräutigams auf. Heiling und Konrad fetzen sich, die Mutter fährt dazwischen, rät zu Mäßigung und holt ihren Sohnemann zurück in den Mutterschoß.

Die Zwergen, die Gnomen und alles Märchenhafte hat Geyer gestrichen, sein Motto lautet: Ödipus now. Zu den Klängen der Ouvertüre zeigt der 62-Jährige im Blitzlicht, wie die Mutter ihren Sohn vom Lustknaben zum Liebhaber großzieht. Kein Wunder, dass der Mann schlussendlich Erotikfotograf wird.

Das Libretto wurde ein bisschen umgeschrieben, die Erdgeister wurden zu inneren Stimmen der Protagonisten. Der Arnold Schoenberg Chor verkörpert diese und sucht mittels seltsamer Armbewegungen die Seelenregungen der Hauptfiguren darzustellen. Verkomplizierenderweise hat Geyer das Vorspiel im Zwergenreich zum vorgezogenen Epilog uminszeniert: Heiling ist zu Beginn schon tot, die Mutter erinnert sich am Grabe zurück an das, was passiert ist. So weit, so schlecht.

Das meiste andere ist ziemlich gut. Michael Nagy ist ein fesselnder Hans Heiling, sein Bariton hat, so er nicht zu sehr forciert, noble lyrische Kraft; er artikuliert liedsängerhaft schön. Katerina Tretyakova erinnert als Anna mit ihrer Föhnwelle und ihrer Robustheit an die mittlere Britney Spears; ihr potenter, gleißender Sopran hat jene dramatischen Qualitäten, die man bei Angela Denokes Königin etwas misst. Denoke ist ganz Ebenmaß und Wohlklang – etwas mehr Schärfe und Schneid hätten der grausamen Domina klanglich nicht geschadet.

Schauerromantik

Packend Stephanie Houtzeel als Annas Mutter Gertrude (noch so eine Mutterdomina), wenn sie etwa ihre Tochter zurückerwartet. Marschner zieht hier alle Register der Schauerromantik, das ORF-RSO Wien ist unter der präzisen, nuancierten Leitung von Constantin Trinks nun ganz Sturm und Glut. Das Herz geht einem kurz darauf auf, wenn Peter Sonn Konrads Liebe zu Anna mit der biegsamen Kraft, der strahlenden Helligkeit und dem Schmelz seines Tenors Klang werden lässt. Schade, dass der junge Salzburger körpersprachlich ein bisschen schlaffbübisch rüberkommt.

Noch was? Der Chor hat mindestens vier Adjustierungen, die vom Florianifest sind ein Traum, und das offene Bühnenbild von dieser Szene auch. Begeisterung für eine lohnende Wiederentdeckung, ein homöopathisches Buh bei Trinks (warum?), bei Geyer gar keines. Ob die Müttervereinigung Protest gegen Geyers Deutung einlegt, bleibt abzuwarten. (Stefan Ender, 14.9.2015)