Tausende Ungarn gingen am Sonntag gegen die strenge Asylpolitik der Regierung in Budapest auf die Straße. Die breite Öffentlichkeit sieht die Aufnahme von Flüchtlingen aber weiterhin kritisch.

Foto: Daniela Neubacher

"Schäm dich, Orbán!" ist im Hintergrund zu lesen.

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Nicht zum ersten Mal schreien Wilma und Tibor ihren Frust lautstark in die Menge. Seit Monaten basteln sie regelmäßig bunte Schilder, die sie gemeinsam durch die Straßen Budapests tragen. "Wir wollen keine Faschisten in der Regierung, das gilt für Orbán wie für Jobbik", erklären die beiden Budapester. Diesmal schreien sie "Schäm dich, Orbán!" gemeinsam mit tausenden Demonstranten, die sich am Sonntag auf dem Platz der Freien Presse versammelt haben.

Mit ihrem Protest gegen die Asylpolitik des Premiers folgten sie dem Aufruf des Oppositionspolitikers Pétér Juhász. Der 44-jährige Unternehmer betrat die politische Bühne als Gründer der Massenbewegung "Milla", die im Oktober 2011 mehr als 70.000 Ungarn gegen das umstrittene Mediengesetz auf die Straße brachte. "Kein anderer Oppositioneller kann so viele Menschen mobilisieren wie Juhász. Er hat den Vorteil, selbst aus der Zivilgesellschaft zu kommen", sagt Elisabeth Katalin Grabow, stellvertretende Chefredakteurin der Budapester Zeitung zum STANDARD. Heute ist Juhász Vizechef der linken Gruppierung "Együtt" ("Gemeinsam") und ein scharfer Orbán-Kritiker.

Offener Brief an Regierung

Orbáns Asylpolitik lehnen auch Flüchtlingshilfsgruppen vehement ab. In einem offenen Brief an die Regierung forderten letzte Woche 22 zivilgesellschaftliche Organisationen die Einhaltung der Menschenrechte. Logos von Gruppen wie "Migration Aid" und "MigSzol" sucht man auf der Demonstration am Sonntag aber vergeblich. Kein Wunder, so Grabow, zu groß sei ihre Berührungsangst zu politischen Akteuren.

Anstatt sich der Demonstration offiziell anzuschließen, veranstaltete Migration Aid am Samstag ein Solidaritätsfest auf dem Vorplatz des Budapester Ostbahnhofs.

Kein gesellschaftlicher Konsens

Mehrere Hundert Menschen fanden sich zu dem Benefizkonzert ein. "Die ungarische Zivilgesellschaft ist geeinter als jemals zuvor", erklärt eine MigSzol-Rednerin. Bis vor kurzem war es auf den Straßen der ungarischen Hauptstadt relativ still geworden. Der im vorigen Herbst durch eine geplante Internetsteuer ausgelöste Demonstrationsmarathon hatte sich spätestens mit der Wiederwahl der Regierungspartei Fidesz im April aufgelöst.

Nun, wo die Asyldebatte die Gemüter erneut erhitzt, könnten weitere Demos folgen. Die große Masse würde Juhász aber dieses Mal nicht mobilisieren können, ist Grabow überzeugt. "Jene, die sich für Flüchtlinge einsetzen, helfen lieber und haben keine Zeit zu demonstrieren." Es fehle nach wie vor an einem breiten gesellschaftlichen Widerstand innerhalb der ungarischen Bevölkerung. (Daniela Neubacher aus Budapest, 13.9.2015)