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Finanzminister Schelling fordert, dass die zusätzlichen Ausgaben für die Flüchtlingshilfe nicht ins strukturelle Defizit eingerechnet wird.

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Wie dramatisch sich die Flüchtlingskrise in Europa zugespitzt hat, wurde am Freitag zum Auftakt eines zweitägigen Treffens der EU-Finanzminister in Luxemburg sichtbar. Drehte sich bis vor kurzem noch alles um Griechenland, so überschattete das Thema Asyl in Luxemburg alles andere.

Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling ließ dabei mit einem Vorstoß aufhorchen: Schelling forderte eine Ausnahme von den strikten EU-Defizitregelungen. Konkret schlug er vor, die Ausgaben, die einzelne Staaten für Asylwerber tätigen, bei der Berechnung des sogenannten strukturellen Defizits herauszurechnen. Das strukturelle Defizit errechnet sich aus Ausgaben und Einnahmen des Staates, abzüglich konjunktureller Effekte.

Zur Begründung seines Vorschlages sagte der Minister: Es sei nicht gerechtfertigt, wenn jene Staaten, die besonders human sind und Geld für die Versorgung der Asylwerber in die Hand nähmen, deshalb von Brüssel bestraft würden, weil ihre Ausgaben zu hoch seien.

Der Vorschlag Schellings gewann in Luxemburg rasch an Momentum. Unterstützung kam aus Italien: "Das Flüchtlingsproblem sollte als ein externer Schock angesehen werden, der ganz Europa trifft", sagte Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan dem STANDARD. "Es wäre daher angebracht, die Regeln zu adaptieren."

EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici zeigte sich ebenfalls nicht abgeneigt, der Vorschlag sei es "wert", geprüft zu werden, sagte der Franzose. Wie viel Zeit dies in Anspruch nehmen könnte, wollte Moscovici aber nicht konkretisieren, man stehe erst am Anfang des Prozesses.

Angebot der EIB

Ein konkretes Angebot kam hingegen von der Europäischen Investitionsbank (EIB): "Wir erleben gerade die größte Veränderung der politischen Landschaft seit dem Fall der Berliner Mauer", sagte EIB-Präsident Werner Hoyer im Hinblick auf den Zustrom von Asylwerbern. Um mit der Situation fertigwerden zu können, seien "riesige Summen" notwendig, die man in Spitäler, Versorgungszentren und Infrastruktur investieren muss. Die EIB sei bereit, mit Krediten im großen Stil einzugreifen.

Wie viel Geld für Asylwerber nötig sein werde, sei noch völlig unklar, so der Tenor in Luxemburg.

Verhärtete Fronten gab es indes bei den Diskussionen um weitere Reformen in der Eurozone. Erst im Juni hatten die Präsidenten der wichtigsten EU-Institutionen einen gemeinsamen Bericht vorgelegt, in dem sie eine Reihe von Maßnahmen vorschlugen, um die Währungsgemeinschaft zu stärken. Schnelle Durchbrüche dürfte es dabei aber nicht geben.

Das zeigt sich auch bei der dringlichen Forderung vieler Länder und der Europäischen Zentralbank (EZB), eine gemeinsame Einlagensicherung zu schaffen. Der einheitliche Schutz für Sparguthaben bis zu 100.000 Euro ist einer der wichtigsten Eckpfeiler der Bankenreformen in Europa. Bisher konnte man sich aber nur auf ein harmonisiertes System einigen. In jedem EU-Land müssen nach den gleichen Prinzipien Sicherungstöpfe aufgebaut werden, die von den Banken finanziert werden. Aber jeder Staat betreibt finanziell sein eigenes Notsystem.

Furcht vor Transfers

Um für künftige Bankenkrisen besser gewappnet zu sein, bedürfe es eines einheitlichen Systems, sagen Länder wie Italien und Spanien. Widerstand kommt aus Deutschland und auch aus Österreich. Finanzminister Wolfgang Schäuble hielt an seinem Nein fest, und auch Schelling warnte vor einer "Risikoübertragung".

In Wien und Berlin fürchtet man, dass die eigenen Kreditinstitute die Kosten für Probleme in Südeuropa tragen müssten. Banken in Österreich und Deutschland sind gegen eine einheitliche Einlagensicherung. Auch eine Sitzung bezüglich der Finanztransaktionssteuer (FTT) war angesetzt. Vor inzwischen zwei Jahren hat die EU-Kommission die Einführung einer FTT vorgeschlagen. Elf Länder, darunter auch Österreich, haben erklärt, mitmachen zu wollen. Bisher konnte man sich aber nicht auf die Ausgestaltung einigen. (András Szigetvari aus Luxemburg, 11.9.2015)