Die gesetzliche Wochenarbeitszeit der "35 heures" (35 Stunden) bleibt in Frankreich ein explosives Thema. Das bekam dieser Tage Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zu spüren, als er diese Errungenschaft der Linken aus dem Jahr 1999 infrage stellen wollte. Der Ex-Banker der regierenden Sozialisten wurde von seinem eigenen Premierminister, Manuel Valls, desavouiert.
Macrons Vorschlag, dass innerbetriebliche Abkommen die gesetzliche Arbeitszeit außer Kraft setzen können sollen, bleibt aber im Raum stehen. Und inmitten dieser gespannten Situation hat Daimler am Freitag eine Abstimmung unter den 850 Angestellten des Smart-Werks in Hambach (Lothringen) unweit der saarländischen Grenze angesetzt.
Produktionsanstieg
Die Direktion der Kleinwagenfirma schlägt vor, die Wochenarbeitszeit bis Oktober des kommenden Jahres in zwei Schritten von 35 auf 39 Stunden zu erhöhen. Das soll die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen sowie die Stellen – inklusive die 1600 der vor Ort befindlichen Zulieferer – bis 2020 sichern. Der Personalchef von Smart France, Philippe Steyer, stützt sich auf eine Studie des Beraterunternehmens IHS, laut dem die Produktion in Hambach von heuer 93.000 auf 133.500 im kommenden Jahr ansteigen soll.
Als Gegenleistung würde das Unternehmen die Löhne um monatlich 120 Euro erhöhen und einen einmaligen Bonus von 1000 Euro zahlen.
Gewerkschaften dagegen
In "Smartville", wie Hambach öfters genannt wird, weckt die Abstimmung keine große Begeisterung. Die Gewerkschaften sind mehrheitlich dagegen. Nur die CFE-CGC, die vor allem leitende Angestellte vertritt, kann sich damit abfinden. Um die Produktion des wichtigsten Smart-Modells Fortwo in Hambach zu sichern, so argumentiert sie, müsse die Produktivität gesteigert werden.
Das auf Kosten der Arbeiter, monieren die übrigen Gewerkschaften. Die ehemals kommunistische CGT rechnet vor, dass einer Arbeitszeiterhöhung von zwölf Prozent eine Lohnerhöhung um sechs Prozent gegenüberstünde.
Skepsis allenthalben
Die den Sozialisten nahestehende CFDT wendet zudem ein, für einen "Wettbewerbspakt" – wie ihn in Frankreich zum Beispiel Renault geschlossen hat – sei es zu früh. Noch sei nicht bekannt, wie sich die erst anlaufenden Smart-Verkäufe in China und den USA entwickeln werden.
Die CGT verdächtigt Daimler generell, die Lohnmasse bewusst senken zu wollen, um langfristig eine Tochter abzustoßen, deren Produkte sich nicht gerade wie warme Semmeln verkaufen. Sie hat in der Kampagne noch Tage vor der Abstimmung sogar von "Erpressung" gesprochen, nachdem der Vierplätzer Forfour bereits im slowenischen Renault-Werk hergestellt werde.
Solch harsche Töne sind nicht selten in Hambach, wo sich die Sozialpartner seit dem Produktionsbeginn im Jahr 1998 die Zähne aneinander ausbeißen. Kulturelle Unterschiede wiegen schwer in der einzigen von einem ausländischen Hersteller geführte Autofabrik Frankreichs, wenn man von einem Toyota-Werk in Nordfrankreich absieht.
Befragung ohne Bindungswirkung
Dem Smart-Angebot, 2020 je nach Auftragslage wieder zur 35-Stunden-Woche zurückzukehren, schenken die Gewerkschaften aus Erfahrung mit französischen Versprechungen keinen Glauben. Arbeiter werfen den deutschen Eignern überdies vor, sie akzeptierten die französischen Verhältnisse nicht – nachdem vor Jahren schon Bosch die "35 heures" mit einer Betriebsabstimmung auszuhebeln versucht hatte.
Die Befragung von Freitag, deren Resultat zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vorlag, hat nur konsultative Wirkung. Auch muss ein positives Resultat von Gewerkschaften, die seit den letzten Betriebswahlen mindestens 30 Prozent der Angestellten vertreten, unterzeichnet werden. Das scheint derzeit nicht gegeben. (Stefan Brändle aus Paris, 11.9.2015)