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Der Oberösterreicher Willi Ruttensteiner (links) hat den österreichischen Weg kreiert. Mit dem Schweizer Marcel Koller als Teamchef wurde dann mehr erreicht als erträumt.

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Standard: Müssen Sie sich nach dem Aufstehen zwicken, um zu realisieren, was die Fußballnationalmannschaft geleistet hat?

Ruttensteiner: Ich zwicke mich zwar nicht, aber es ist derzeit fantastisch, in der Früh aufzuwachen. Hätten Sie mir vor zehn Jahren gesagt, Österreich ist 2015 die Nummer 13 in der Weltrangliste, hätte ich ungläubig geschaut.

Standard: Kann man das aktuelle Team mit Vorgängermannschaften vergleichen, wo ist es einzuordnen?

Ruttensteiner: Das Wunderteam war lange vor meiner Geburt. Ich bin ein Mensch, der in die Zukunft blickt. Wir haben einen Riesenschritt näher an die Weltspitze gemacht, wir sind konkurrenzfähig, die Endrunde kommt aber erst. Die Souveränität, mit der wir durch die Qualifikation marschiert sind, war beeindruckend. In der zweiten Halbzeit des Schwedenspiels ist vor mir ein Film abgelaufen, ich war in Trance und packte es kaum, auf welchem Niveau wir agieren. Ich dachte an die Vergangenheit, an viele Situationen, in denen ich mir gewünscht habe, einmal so aufzutreten. Jetzt wurde es Wirklichkeit, ein toller Film.

Standard: Teamchef Marcel Koller steht quasi vor der Seligsprechung. Was kann er, was andere Trainer nicht können?

Ruttensteiner: Er ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Das enorme Fachwissen ist Voraussetzung, das haben andere auch. Er hat als Spieler und Trainer viel erlebt und durchgemacht, das hilft ihm in jeder Situation. Er ist ein wunderbarer Mensch, versteht es, Inhalte an die Leute zu bringen. Welches Team Koller da geformt hat, ist gewaltig. Er beeinflusst mit seiner Menschlichkeit, Überzeugungskraft und Professionalität den gesamten ÖFB.

Standard: Sie haben Koller vor knapp vier Jahren verpflichtet.

Ruttensteiner: Verpflichtet haben ihn Präsident Leo Windtner und das Präsidium.

Standard: Schon. Sie haben ihn aber ausgesucht. Wie sind Sie auf Koller gekommen, er hatte ja zwei Jahre keinen Job?

Ruttensteiner: Das war einfach. Ich hatte eine Liste nach einem Anforderungsprofil zu erstellen. Das Beherrschen der deutschen Sprache war ein Punkt, es blieben nur Deutschland, Schweiz und Österreich übrig. Ich verfüge über ein großes Netzwerk an Informanten.

Standard: Der erste Kontakt?

Ruttensteiner: Ein Telefonat, in dem wir Eckpunkte diskutiert und ein Treffen mit Windtner vereinbart haben. Wir hatten mehrere Kandidaten kontaktiert, Franco Foda und Koller blieben übrig. Nicht zuletzt die internationale Erfahrung gab den Ausschlag.

Standard: Davor sind Sie nach der Trennung von Dietmar Constantini für zwei Partien als Teamchef eingesprungen. Warum sind Sie nicht geblieben? Wollten Sie nicht oder hätte es zu große Widerstände der Landesverbände gegeben?

Ruttensteiner: Beides. Man benötigt einen Sportdirektor, der für die Strategie des nächsten Jahrzehnts sorgt. In dieser Funktion bin ich besser aufgehoben.

Standard: Bei der Bestellung von Kollers Vorgängern hat es nicht wirklich geklappt. Krankl, Hickersberger, Brückner und Constantini konnten die in sie gesetzten Erwartungen nicht gerade übertreffen.

Ruttensteiner: Da war ich nicht involviert, bei Koller wurde ich zum ersten Mal beigezogen. Es sollte immer so sein. Brückner wurde mir einfach nur mitgeteilt.

Standard: Sie sind für Rahmenbedingungen und Strukturen zuständig. Was war, von Koller und den hervorragenden Kickern abgesehen, ausschlaggebend, dass man nun so gut dasteht. Waren es die Akademien, die Einführung eines gemeinsamen Spielsystems bei allen Auswahlen?

Ruttensteiner: Ich bin 2000 gekommen und glaube, dass der ÖFB gerade erkannt hat, dass nach der wunderbaren Generation 1998 die Spieler fehlen. Es gab keinen Herzog, keinen Kühbauer, keinen Stöger mehr. Der Auftrag an mich war, zu analysieren, ein Konzept zu erstellen, wir nannten es den Österreichischen Weg. Wir mussten überall ansetzen.

Standard: Warum wurde erst so spät reagiert?

Ruttensteiner: Das kann ich schwer beurteilen, das war vor meiner Zeit beim ÖFB. Möglicherweise haben die Erfolge einiges überlagert.

Standard: Musste man die Bedeutung einer professionellen Nachwuchsarbeit erst erkennen?

Ruttensteiner: Ich glaube schon. Die Akademien wie Mattersburg, Graz, Austria und Salzburg wurden erst nach 2000 errichtet. Der Unterbau fehlte. Die Spieler waren mit 15 Jahren zu schwach ausgebildet. Wenn du mit 15 nicht bereits auf einem gewissen Level bist, kann man in der besten Akademie recht wenig aufholen. Entscheidend ist die Zeit zwischen zehn und 14, die wurde auf eine andere Ebene gestellt. Die Vereine haben mitgezogen.

Standard: Kostete es Überwindung, sich als Ausbildungsland deklarieren zu müssen?

Ruttensteiner: Das war ein Prozess, obwohl ich Ausbildungsland nicht negativ finde. Wir werden mittlerweile von vielen Nationen beobachtet und als Vorbild hingestellt. Die Schweiz war uns sechs Jahre voraus. Wir haben mit der Einführung des Österreichertopfs einen guten Schritt gesetzt. Talente kamen vermehrt zu Einsätzen bei den Profis. Zlatko Junuzovic ist ein Paradebeispiel, der hat eine Bilderbuchentwicklung gemacht. Von der Akademie in Graz über die Austria bis in die deutsche Bundesliga. Er ist fast zu stark für Werder Bremen. Aber er liebt diesen Klub, bekennt sich zu einer Sache. Junuzovic ist in Bremen eine Galionsfigur.

Standard: Ist aber nicht doch eine Parallelwelt entstanden? Einerseits das großartige Nationalteam, andererseits eine Liga, die nicht nur infrastrukturelle Probleme hat?

Ruttensteiner: Ich finde, dass die Liga sich weiterentwickelt. Rapid bekommt ein neues Stadion, die Austria investiert. Visionen werden realisiert, das gefällt mir. Wir werden nie eine Premier League sein. Man muss sich die Zukunft ja leisten können. Mit der Schweizer oder der belgischen Liga werden wir konkurrieren können.

Standard: Muss man sich damit abfinden, dass künftige Teamspieler im Alltag gar nie bei heimischen Klubs zu sehen sind? Derzeit haben nur Alaba, Harnik und Arnautovic nie in Österreichs Oberhaus gekickt.

Ruttensteiner: Ich wünsche mir immer, dass sie die ersten Profijahre in Österreich spielen. Louis Schaub bei Rapid ist ein gutes Beispiel. Man muss akzeptieren, dass hervorragend ausgebildete Talente nicht lange bleiben. Der letzte Schritt der Entfaltung zum internationalen Profi passiert nicht in Österreich, der passiert in Deutschland, England, Spanien. Dort müssen wir unsere Nationalspieler auf Dauer positionieren.

Standard: Schaut man den Transferwahnsinn an, Manchester City zahlte für Kevin de Bruyne fast 80 Millionen Euro, ist es allerdings schwierig, sich als österreichische Bundesliga zu positionieren, oder?

Ruttensteiner: Das geht nicht, das wird unser Markt nie hergeben, da können und wollen wir uns nicht behaupten. Die Spieler können das sehr wohl. Gäbe es einen Transfer Alabas weg von Bayern, wäre er im obersten Bereich.

Standard: Ist der ÖFB auf eine Zeit nach Koller vorbereitet?

Ruttensteiner: Wenn man den Ausbildungsweg aufrechterhalten und optimieren kann, blicken wir einer positiven Zukunft im Bereich der Nationalmannschaft entgegen. Wir sind auch beim Nachwuchs vorne dabei. Meine Überlegungen gehen bis zur WM 2018 in Russland und viel weiter. Ich wünsche mir, dass Koller bleibt. Es wäre ein Erlebnis, das Ganze auszureizen, in eine WM zu führen. Aber man darf nicht vergessen, dass auch österreichische Trainer mittlerweile auffallen. Peter Stöger und Ralph Hasenhüttl in Deutschland, Zoran Barisic leistet bei Rapid Hervorragendes.

Standard: Was erwarten Sie von der EM in Frankreich?

Ruttensteiner: Dass wir auf höchstem Niveau bestehen und Spiele gewinnen können. Wir wollen das Potenzial ausreizen. (Christian Hackl, 11.9.2015)