Ein hoher Bildungsgrad kann viele Türen öffnen, aber nicht alle. Um in die oberste Etage eines Konzerns aufzusteigen, spielt die Herkunft nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle. Seit vierzig Jahren analysiert Michael Hartmann, Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Elitenforschung, die Werdegänge von Vorstandsmitgliedern der größten deutschen Unternehmen. Und hier zeigen sich trotz verbesserter Bildungsmöglichkeiten und erhöhter Durchlässigkeit der einzelnen Bildungsbereiche wenige Veränderungen im Zeitverlauf.

So habe sich der Anteil jener Vorstände, die einen Lehrabschluss haben, seit den Siebzigerjahren kaum verändert, auch die Vorstände mit einem Doktortitel sind anteilsmäßig gleich geblieben. Geändert haben sich hier aber die Studienabschlüsse. "Seit Mitte der 90er-Jahre nimmt der Anteil der Juristen in den Chefetagen stetig ab, dafür der Anteil der Wirtschaftswissenschafter kontinuierlich zu", sagt Hartmann. Mittlerweile haben knapp die Hälfte der Vorstandsmitglieder mit Hochschulabschluss ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert.

Soziales und kulturelles Kapital

Dass Bildung den Verlauf einer Karriere nur bedingt beeinflusst, zeigen auch die Ergebnisse der Karriereforschung. Etabliert hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff des Karrierekapitals, das sich aus ökonomischen, sozialen und kulturellen Bestandteilen zusammensetzt und sich im Lauf des Berufslebens stark verändert. Während das soziale Kapital Kontakte und den Zugang zu bestimmten Netzwerken meint, bezieht sich das kulturelle Kapital auf die Sozialisation mit den unterschiedlichen Ausbildungen und persönlichen Interessen, ergänzt Markus Latzke, Assistant Professor am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der WU Wien. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Rucksack, der das gesamte Berufsleben mitgetragen werde und aus dem je nach Bedarf einzelne Teile herausgenommen werden können. Wie viel die einzelnen Kapitalien wert sind, hänge, so Latzke, stark vom Umfeld ab.

Bei Frauen werden beispielsweise die klassisch femininen Kapitalien in der Pflege hochgeschätzt, bei Führungspositionen im selben Feld stoßen sie aber an Grenzen, da dort die typisch maskulinen Attribute wie Durchsetzungsfähigkeit für wesentlich erachtet werden. "Egal ob es sich dabei nur um Zuschreibungen oder um tatsächliche Unterschiede handelt, die Kapitalienausstattung ermöglicht Dinge und schränkt gleichzeitig ein", merkt Latzke an.

Frausein als Makel

Ähnlich lautet die Begründung von Hartmann, wenn es um seine Einschätzung geht, ob sich der Frauenanteil in den Vorstandsetagen erhöhen wird. Für ihn ist das soziale Umfeld nach wie vor das ausschlaggebende Kriterium für das Vorankommen im Berufsleben. Bürger- und Großbürgertum dominieren die Vorstandsebene. "Vier von fünf Vorstandschefs kommen aus diesem sozialen Umfeld", sagt Hartmann. Hier werde sich auch in Zukunft wenig verändern. Wer es außerhalb dieses Umfelds bis an die Konzernspitze schaffen möchte, brauche auf jeden Fall ein wirtschaftliches Hochschulstudium.

Und trotz unzähliger frauenfördernder Initiativen werde sich der Anteil der Frauen an den Konzernspitzen nur sehr langsam ändern, ist Hartmann überzeugt. Unabhängig von den erworbenen Qualifikationen sei hier die soziale Rekrutierung noch strenger. "Wenn jemand einen Makel hat – und hier gehört Frausein dazu -, dann muss diese Person andere Begünstigungen mitbringen", sagt er. Als Beispiel nennt Hartmann Brigitte Ederer, die es in den Vorstand der Siemens AG geschafft hat, ihre Nähe zur Politik war hier anfangs sicher begünstigend. Kompetenz allein reiche nicht aus.

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Auch das Bild des Quereinsteigers oder Querdenkers sei, so Hartmann, eher eine Wunschvorstellung. In der Praxis sind solche Vorstände kaum zu finden. Seit Jahren werde von Unternehmensseite gesagt, dass auch branchenferne Manager mit für die Wirtschaft exotisch klingenden Studienabschlüssen gefragt seien. Der Anteil der Hochschulabsolventen in Vorstandspositionen, die kein juristisches, wirtschafts- oder naturwissenschaftliches Studium absolviert haben, liege aber seit Jahren gerade einmal bei einem Prozent.

Generation Y: Marketingprodukt?

"Das Gleiche gilt übrigens auch für den oft geforderten Anspruch der Interdisziplinarität. Hier ist oft schwer einzuschätzen, was diese Person tatsächlich kann", sagt Hartmann. Ähnlich beurteilt er Brüche im Lebenslauf. Viele Experten raten Personalverantwortlichen zwar, sich auf diese Brüche einzustellen, denn es werden sich aktive Berufszeiten, Auszeiten und Umbrüche aneinanderreihen. Dennoch sieht Hartmann hier Herausforderungen vor allem bei der Beurteilung der Qualifikationen. Und im Zweifelsfall werde eben auf das Bekannte zurückgegriffen.

Dennoch werden die Karrieren nicht mehr so geradlinig verlaufen wie bei den vorangegangenen Generationen. Das spiegelt sich auch in der Veränderung der Karriereverläufe auf Vorstandsebene wider. In aktuellen Analysen zeigt sich, dass der Anteil von Hauskarrieren, also den Karrieren jener Personen, die spätestens im vierten Jahr ihres Berufslebens im Unternehmen waren, dem sie jetzt vorstehen, stark rückläufig ist. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass Branchenkarrieren, also Karrieren von Menschen, die das Unternehmen, aber nicht die Branche gewechselt haben, deutlich zugenommen haben. Interbranchen, die auch die Generation Y (die nach 1980 Geborenen) kennzeichnen sollen, sind aber auf einem stabilen und niedrigen Niveau.

Für Hartmann ist die Generation Y hauptsächlich ein Marketingprodukt. So belegen zwar Studien, dass die Jungen sehr anspruchsvoll sind, ihnen Geld als Motivation nicht reicht und die Arbeitszeit auch genügend Freiraum für persönliche Hobbys gewähren soll. "Nur werden für diese Studien meist Studierende oder Absolventen befragt, die erst kürzlich ins Berufsleben eingestiegen sind", sagt Hartmann. Andere Studien zeigen nämlich, dass gerade wegen der angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt junge Berufseinsteiger viel angepasster sind als die Generation davor. Und hier gelte für viele: "Sicherheit geht vor." Klassische Unternehmenskarrieren sind wieder gefragt, besonders bei Frauen. "Die Wünsche, die diese Generation jetzt noch hat, lassen sich im Berufsleben nur schwer realisieren", sagt Hartmann. Die Ansprüche werden sich in Luft auflösen, ist er überzeugt.

Kräfte und Notwendigkeiten

Die bessere Durchlässigkeit im Bildungsbereich, aber auch der freie Hochschulzugang haben die Chancen zum Bildungsaufstieg verbessert – in der Theorie. In der Praxis wird nach wie vor Bildung vererbt. Laut "Bildung in Zahlen 2013/14" der Statistik Austria erreichten etwa in der Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen 55,8 Prozent der Kinder aus Akademikerhaushalten einen Hochschulabschluss, aber nur 6,6 Prozent jener Kinder, deren Eltern als höchste Ausbildung lediglich einen Pflichtschulabschluss aufweisen. Auch umgekehrt besteht dieser Zusammenhang: 27,3 Prozent der Kinder aus einem Elternhaus mit höchstens Pflichtschulabschluss in dieser Altersgruppe erreichen selbst lediglich einen Pflichtschulabschluss, aber nur gut fünf Prozent der Akademikerkinder bleiben auf der untersten Ausbildungsstufe. Über die Generationen hat es bei diesen Prozentsätzen hier nur eine leichte Verbesserung der Mobilität gegeben.

Auch im OECD-Vergleich ist Österreich bei der Bildungsmobilität auf den hinteren Rängen zu finden. Ein sogenannter "Bildungsaufstieg" gelingt nur selten. Aber immerhin: Schüler aus der Neuen Mittelschule (NMS) wechseln laut einer ersten Evaluierung häufiger an allgemeinbildende oder berufsbildende höhere Schulen als Hauptschüler. Der Durchbruch in Sachen Durchlässigkeit lässt allerdings noch auf sich warten. Vielleicht bringt die große Integrationsnotwendigkeit aus den massiven Migrationsströmen Bewegung in starre Systeme. Ansätze sind in den vergangenen Wochen erkennbar. (Gudrun Ostermann, 18.12.2015)