Dass das Selfie die Ansichtskarte der Gegenwart ist, ist nix Neues. Und die Devise "Pics – or it did no happen" gilt längst nicht nur in den sozialen Medien. Nur: Die meisten Handys haben Kameraobjektive, die beim Selbstporträtmachen eben ein Selbstporträt machen. Das Dilemma: Will ich meinen Freunden das "Ätsch, ihr seid im Office – und ich habe es fein" so präsentieren, dass sie außer meiner Nase auch noch Umgebung erkennen, wird es schwierig. Denn Inspektor Gadget gab zwar einer ganzen Industrie den Gattungsnamen – aber erstaunlicherweise dauerte es lange, bis das vermutlich berühmteste Tool des Comic-Detektivs auf den Markt kam: der verlängerte Arm. Der "Selfie-Stick".

Sicher: Herumgespielt wurde schon lange. Ich habe – (z. B. hier in Romsdalen/Norwegen im Jahr 2012) – Uraltbilder, auf denen ich die Kamera mit einer Schelle am Skistock befestigt habe. Einer der Haken: Die Kamera am Stock ist beim Skifahren eher mühsam. Und einen dritten Skistock wollte dann auch keiner mitnehmen. Anfangs.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch die Actioncams mach(t)en in der Alltagsselbstdarstellerei ja nur einen verschwindend kleinen Teil des Spektrums aus. Kamera der Wahl ist in der Regel das Handy. Und das vernünftig zu montieren – und auszulösen – ist ein Thema, das erst etwa seit einem Jahr großer Markt ist.

Omnipräsent und schon wieder verboten

Und größer wird. Mittlerweile ist der Selfie-Sick nicht nur omnipräsent, sondern auch schon wieder verboten. Die Bannliste reicht vom Louvre über das Kolosseum und das Vatikanmuseum bis zu britischen Fußballstadien, nach Wimbledon und auf den roten Teppich der Filmfestspiele von Cannes. In der Regel geht es um Sicherheit oder Bildexklusivität – aber mitunter (etwa in Südkorea) sind die Sticks auch verboten (oder müssen amtlich "typisiert" werden), weil befürchtet wird, dass das Ausspähen sensibler Daten über die Bluetooth-Anbindungen, mit denen manche Geräte die Foto-/Videoauslösung bewerkstelligen, begünstigt werden könnte.

Foto: Thomas Rottenberg

Trotz alledem ist das "Deppenzepter" omnipräsent. Und da im Package, das mir die Firma GoPro für den Test der "Session" schickte, auch ein Selfie-Arm (konkret: der "3-Way") lag, sprang ich unlängst über meinen Schatten, lief mit dem 50-Zentimeter-Ausklappdings durch Schönbrunn – und muss zu meinem Leidwesen gestehen, dass so ein Ding doch nicht nur und nicht ganz deppert ist.

Foto: Thomas Rottenberg

Mein Testgerät unterschied sich von dem, was die meisten Touristen mitführten, in zwei Punkten: Es war ausklappbar. Handy-Stäbe haben in der Regel eine Teleskop-Funktion. Mein Vorteil: Man kann – theoretisch – ums Eck schauen und hat mehr Variationsmöglichkeiten in puncto Kamerawinkel. Nachteil: Die meisten Teleskope sind länger. Fast alle lassen sich kleiner und kompakter verstauen. Und: "normale" Selfie-Sticks haben Universalhalterungen, an denen man so gut wie jedes Smartphone befestigen kann.

Mit Stativ

Foto: Thomas Rottenberg

Dafür hatte mein Test-Zepter im Griff ein kleines Stativ eingeschraubt – das trug mir vor allem von asiatischen Teleskop-Stick-Haltern den einen oder anderen neidischen Blick ein. Nett, aber wohl nur dazu da, um US-Schmerzensgeldanwälten das Geschäft zu verderben, ist der kleine blaue Knopf an der Griffoberkante: Nur wenn man den drückt, lässt sich der Stab komplett einklappen. Damit man sich nur ja nicht die Finger einzwickt …

Foto: Thomas Rottenberg

Was der Klappstab nicht kann (GoPros schaltet man gemeinhin auf "Dauerfeuer"), für Handy-Stick-Knipser aber wichtig ist, ist die Fernauslösung: Bei billigen Sticks muss man die Selbstauslösefunktion von Handy oder Kamera aktivieren. Mühsam. Manche Stäbe haben eine eingebaute Bluetooth-Anbindung, mit der sich das Handy steuern lässt. Oder aber der Fotograf fummelt mit einer externen Fernsteuerung herum: Ich habe in Schönbrunn mehrere Touristen gesehen, die in der einen Hand den Stab und in der anderen die Fernbedienung hielten. Sah außer mühsam nur mühsam aus. Einige Stick-Hersteller haben an ihren Griffen Halterungen für Fernbedienungen dran. Stell ich mir auch eher unpraktisch vor. Außerdem gibt es – aber das habe ich nirgendwo gesehen – auch Sticks mit Kabelanbindung: Über den Kopfhörer-Klinkenstecker verbindet man das Gerät mit dem Stab – und löst am Handgriff aus.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein Problem des Stick-Knipsens löst keine dieser Einrichtungen: Man sieht das Motiv nicht. Zumindest dann nicht, wenn man die – in der Regel ja doch höher auflösende – Hauptkamera an der Handyrückseite verwendet. (Bei Actioncams ist das ziemlich egal: Bei einem 170-Grad-Weitwinkel ist es nämlich die schwierigste Übung, nicht im Bild zu sein, sobald die Kamera nur halbwegs in die eigene Richtung zeigt.) In Schönbrunn sah ich einen Briten, der auch dieses Problem löste: Er hatte auf die Rückseite des Smartphones einen kleinen Weitwinkelspiegel geklebt.

Foto: Thomas Rottenberg

Wundervolle Möglichkeiten

Millionen Touristen können nicht irren: Natürlich macht der Reichweiten-Enhancer Fotos möglich, die man ohne nicht zustande brächte. Nur idiotisch ist das Ding also doch nicht. Aber brauchen? Ich glaube, dass für mich die am gestreckten Arm irgendwohin gehaltene Kamera absolut reicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Andererseits bietet so ein Stick auch zahllose wundervolle Möglichkeiten, sich endlich von technischem Ballast und der Bürde der ständigen Erreichbarkeit freizuspielen: In Lissabon sah ich im Frühjahr dreimal die gleiche Szene, in der Touristen sich beim Fahren mit der legendären 28er-Straßenbahn per Selfie-Stick von außerhalb der Bim filmen oder fotografieren wollten. Blöderweise fährt die 28 an manchen Hausecken – oder entgegenkommenden Straßenbahnen – mit fünf Zentimetern Abstand vorbei …

Ob der Selfie-Stick wegen derartiger "Anwendungen" den Beinamen "Deppenzepter" trägt? Keine Ahnung. Aber es würde passen. (Thomas Rottenberg, 13.9.2015)

Selfie-Sticks gibt es in 1001 Versionen und in (fast) jeder Preislage. Den günstigsten fand ich online um 5 Euro bei einer Möbelhauskette. Der von mir selbst verwendete "3-Way" käme auf knapp 80 Euro.