Eine ungarische Familie bei der Ankunft im Lager Traiskirchen.

Foto: ÖNB Bildarchiv

Vor dem Lager Traiskirchen, 1956.

Foto: ÖNB Bildarchiv

Das Jahr 1956 und die 200.000 aus Ungarn geflüchteten Menschen sind ein beliebtes Bespiel in den aktuellen Diskussionen darüber, wie Österreich in der Vergangenheit mit Flüchtenden und Asylsuchenden umgegangen ist. "Uneingeschränkte Solidarität" habe es vom offiziellen Österreich und der österreichischen Bevölkerung gegeben, heißt es. Kritischere Stimmen erinnern aber auch daran, dass lediglich 18.000 Ungarn in Österreich geblieben sind, der Rest wurde binnen acht Wochen in "Neuansiedlungsländer", meist die USA oder Kanada, gebracht.

In historischen Untersuchungen ist der Mythos der bereitwilligen Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge längst widerlegt. Das heißt aber nicht, dass es die vielzitierte Solidarität nicht gegeben hat. Diese zeigte sich vor allem in den ersten Tagen nach dem 4. November 1956, als innerhalb von wenigen Wochen 180.000 Ungarn ins Burgenland strömten, 70.000 davon über die berühmt gewordene Brücke von Andau. Später schlug die Stimmung allerdings um.

Fluchthilfe mit Pferdewagen

Unmittelbar nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands gab es sogar aktive Fluchthilfe der Burgenländer. Es soll vorgekommen sein, "dass Bauern mit Maschinenpistolen bewaffnete Grenzsoldaten verscheuchten", und oft seien Flüchtlinge auf Traktoren oder Pferdewagen mitgenommen worden, sagt der Historiker Peter Haslinger. Das burgenländische Rote Kreuz erinnert an die große Hilfsbereitschaft in den ersten Novembertagen: Neben öffentlichen Gebäuden wie Schulen sowie ehemaligen militärischen Gebäuden, die spontan als provisorische Unterkünfte eingerichtet wurden, nahmen auch Privathaushalte Flüchtlinge auf und behielten sie bis zum Weitertransport in die Auffanglager.

In einem Bericht des Roten Kreuzes hieß es: "Am 4.11.1956 waren auf dem Eisenstädter Bahnhof auf einmal 5.000 Flüchtlinge. Sie mussten innerhalb kürzester Zeit ausgespeist werden. Alle Leute wurden bestürmt und überall Brot und Wurst aufgekauft." Szenen also, wie sie auch in den vergangenen Tagen an vielen Bahnhöfen in Österreich zu sehen gewesen sind. Die Hilfsorganisation kritisierte aber zugleich das offizielle Österreich: "Das burgenländische Rote Kreuz war alleiniger Erhalter des Eisenstädter Lagers. Erst dann schaltete sich der Staat ein und gab Geld her. Bis dahin wurde alles vom Roten Kreuz finanziert und organisiert."

Es gab auch private Spendeninitiativen. So berichtet die "Arbeiter-Zeitung" vom 4. Dezember 1956, dass die Bewohner des Karl-Marx-Hofs in Wien rund 4.000 Schilling für die Flüchtlinge gesammelt haben. Geldspenden gab es auch von diversen Arbeitervereinen.

Von Helden zu Parasiten

Bereits nach wenigen Wochen kam es allerdings zu einem Stimmungsumschwung. Immer öfter war von "Grenzen der Hilfsbereitschaft" und "Undankbarkeit" die Rede. Anfangs als hilfsbedürftige, mittellose Opfer gesehen, wurde den Ungarn bald die Schuld an der eigenen misslichen Lage unterstellt, und sie wurden mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht, so die Historikerin Brigitte Zierer in ihrer Analyse der österreichischen Printmedien aus dem Jahr 1956. "Die Helden wurden zu Parasiten des österreichischen Wohlfahrtstaates", resümiert Zierer. Die Gerüchte über wohlhabende, durch Wien spazierende und auf Staatskosten straßenbahnfahrende Ungarn mehrten sich. Falschinformationen und Neid dominierten 1957 die Flüchtlingsdebatte.

Hilfe aus dem Ausland

Die schwarz-rote Regierung in Österreich war von Anfang an nicht mit der Fluchtwelle aus Ungarn alleingelassen. Bereits Mitte November gab es Zuwendungen aus Skandinavien. Die "Arbeiter-Zeitung" berichtete am 20. November 1956 über "Millionenhilfe aus Norwegen und Dänemark". England und die USA signalisierten im Dezember Bereitschaft, die nach Österreich geflüchteten Ungarn aufzunehmen. Scharmützel auf der diplomatischen Ebene gab es damals ebenfalls. Das österreichische Außenministerium bemäkelte, dass die USA und Kanada lediglich an arbeitsfähigen Männern interessiert seien, "während Frauen, Kinder, alte und kranke Leute in Österreich verbleiben".

Als Ende 1957 einige bereits in Drittländer abgereiste Ungarn wieder zurück nach Österreich wollten, zeigte sich Kanzler Julius Raab (ÖVP) im Ministerrat besorgt über die wachsende Ablehnung der Österreicher und warnte: "Wir können nicht die Wohltäter für die ganze Welt spielen." (Olivera Stajić, 10.9.2015)