Michael Nagy, deutscher Bariton mit magyarischen Wurzeln, nähert sich der Oper an, als wäre sie Liedgesang.


Foto: Andy Urban

Wien – Die Oper ist gemeinhin bestenfalls ein Eintrag im musikgeschichtlichen Gedächtnis. Abgesehen vom Titel dürfte Heinrich Marschners Hans Heiling aber weitgehend unbekannt sein. Auch für Michael Nagy ist die Titelfigur in Heinrich Marschners Hans Heiling neu, wenn er diese Rolle demnächst im Theater an der Wien erstmals gestaltet.

Dennoch ist der 1976 geborene deutsche Bariton mit ungari-schen Wurzeln bereits vor Jahren auf die 1833 uraufgeführte Romantische Oper gestoßen: "Mir ist das Stück begegnet, als ich als Student auf die Suche ging, was man in meiner Stimmlage abseits von Mozart und Verdi so singen könnte. Eine Vorliebe für das deutsche Fach hatte ich schon immer, und mich haben auch mystisch-spukhaft angehauchte Sujets sehr fasziniert. Deshalb habe ich Hans Heiling recht früh entdeckt – das ist schon sehr lohnenswerte Musik."

Der Sänger hat einen tieferen Blick auf die interpretierten Werke, zumal er auch Dirigieren studiert hat. Er sieht sich zwar diesbezüglich als "Dilettant", erinnert sich aber an "beglückende Jahre: Ich habe es sehr genossen, vor allem Symphonik kennenzulernen, Kammermusik zu machen, viel Klavier zu spielen." Obwohl letztlich die Entscheidung für die Stimme fiel, haben ihn diese Erfahrungen geprägt: "Es hat mir nie genügt, nur meinen Part zu kennen. Ich brauche immer die Vertikale, muss genau wissen, was in den Instrumenten passiert."

Im Falle von Marschner gibt es nicht nur eine vielschichtige Partitur, sondern auch eine Handlung auf mehreren Ebenen: Die Titelfigur aus dem Reich der Erdgeister hat sich in eine Sterbliche verliebt und erlebt ein konfliktgeladenes, allzu irdisches Eifersuchtsdrama. Im Theater an der Wien wird der Fokus weniger auf den Gegensatz zwischen Erde und Unterwelt gelegt, sondern eher auf die Beziehungen, wie Nagy berichtet: "Roland Geyer hat für seine Inszenierung eine faszinierende Lesart gefunden, die die mythischen, zauberischen Aspekte weitgehend ausblendet. Die Geistergeschichte wird es so bei uns nicht geben. Heiling ist niemand, der aus einem anderen Universum stammt, sondern ein Mensch unter Menschen."

Für Nagy ist die Figur schillernd: "Es gibt sehr verschiedene Sichtweisen. Analytisch ist er Ahasver, der Ewige Jude, der Vertriebene, Suchende – einer, der nach Erlösung sucht. Als Außenseiter ist er keine eindimensionale Persönlichkeit – eine Figur voller Stärke, die allerdings nicht aus ihm selbst kommt. Das Spannende ist die Frage, inwieweit er Opfer, inwieweit er selbst für sein Handeln verantwortlich ist. Damit wird die Grenze zwischen Sympathie und Antipathie sehr schmal."

Diese Ambivalenzen werden auch in der Musik deutlich. Marschner liegt für den Sänger irgendwo zwischen Webers Freischütz und Wagners Fliegendem Holländer: "Ich glaube, er ist sehr bewusst mit Formen und Klängen umgegangen. Vieles ist bereits durchkomponiert, und die Harmonik weist weit über die Zeit hinaus. Dann gibt es aber auch wieder konventionelle, fast klassische Momente. Aber an den entscheidenden Stellen, wo psychologische Wandlungen stattfinden und Entscheidendes auf der Bühne passiert, hört man das."

Mehr Tiefe als bei Mozart

Als Interpret ist er dabei mehrfach gefordert: "Man muss das Stück tiefer lesen als einen Mozart. Diese Figur ist nicht scharfkantig gezeichnet; als Sängerdarsteller muss man es schaffen, einen Charakter zu zeigen, der voller Lebensfreude in ein Abenteuer startet, um kläglich zu scheitern, und zwar reuevoll. Die Herausforderung ist, den Bogen trotz aller unterschiedlichen Ausdrucksweisen – von Melodramen, Stellen im Konversationston, gesprochenen Dialogen bis zur Arie – zu spannen."

Dabei dürfte Nagy seine Prägung als Liedsänger, der über eine große Vielfalt an farblichen Möglichkeiten verfügt, helfen: "Man muss mit seiner Stimme versuchen, musikalische Inhalte zu vermitteln, und zwar so gründlich wie möglich. Der Pinselstrich ist natürlich ein anderer. Wenn ich mit einem Klavier im Rücken in einem Liederabend in den leisestmöglichen Bereich gehen kann und das Timing gemeinsam mit dem Pianisten gestalte, kann ich viel freier operieren, als wenn ich in einen Orchesterapparat eingebettet bin. Aber ich lege auch in der Oper gerne Worte auf Waagschalen. Diesbezüglich muss für mich der Anspruch derselbe sein." (Daniel Ender, 9.9.2015)