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Luftverschmutzung aus der Vogelperspektive: London kämpft gegen Stickoxide und ist damit bisher wenig erfolgreich, wie Messungen zeigen.

Foto: AP/Alastair Grant

Der Dauerstau auf Londoner Straßen ist nicht nur lästig. Damit verbunden ist ein Umweltproblem, das die Verantwortlichen bisher gern kleinredeten: An manchen Straßen wie der Marylebone Road stoßen vor allem Dieselfahrzeuge so viel Stickoxide aus, dass die Messwerte weit jenseits der erlaubten EU-Grenzwerte liegen. Dementsprechend macht die schlechte Luft den Bewohnern der 8,5-Millionen-Metropole zu schaffen. Einer aktuellen Studie zufolge sterben jährlich zweimal so viele Menschen wie bisher angenommen durch die Umweltverschmutzung, vor allem durch Stickoxide. Spätestens bis Jahresende, so hat es das Oberste Gericht verfügt, muss die Regierung bekanntgeben, wie sie die Emissionen drastisch reduziert.

Auch andere große Städte auf der Insel wie Birmingham und Leeds verstoßen seit Jahren gegen die Richtlinien. Doch die Folgen sind für London am eklatantesten, wie die detaillierte Studie des renommierten Londoner King's College auflistet. Demnach sterben jährlich rund 9400 Menschen an den Folgen der Umweltverschmutzung. Dies seien "sechsmal so viel wie die Toten bei Verkehrsunfällen im gesamten Land", empört sich Penny Woods von der Stiftung BLF, die über Lungenkrankheiten forscht.

Zu den Todesfällen, weiß Alan Andrews von der Lobbygruppe ClientEarth, müsse man eine Vielzahl von Menschen hinzuzählen, "die ernsthaft krank werden und im Krankenhaus behandelt werden müssen". Der Schaden für die Volkswirtschaft liegt laut Studie bei bis zu fünf Milliarden Euro.

Doppelstrategie gegen Stickoxide

Bürgermeister Boris Johnson reagierte mit einer Doppelstrategie auf die schockierenden Zahlen. Seine Stadt habe als weltweit erste die gesundheitlichen Folgen von Stickoxiden beziffert, brüstete sich der konservative Politiker. Die Forschung wurde vom Londoner Stadtparlament und der dem Bürgermeister unterstellten Verkehrsbehörde TfL kofinanziert. Gleichzeitig wiegelte Johnson ab: Die Studie basiere ja auf Zahlen von 2010, inzwischen sei schon vieles besser.

Tatsächlich ist die Zahl schwerer Dieselfahrzeuge mit schlechten Abgaswerten im Großraum London gesunken, seit diese kräftig zur Kasse gebeten werden. Lieferwagen und Kleinbusse kosten derzeit 136 Euro pro Tag; das Doppelte muss berappen, wer mit einem Lastwagen oder Reisebus unterwegs ist und die gängige EU-Richtlinie nicht erfüllt. Die Vorschrift gilt nicht für normale Autos, anders als bei der Citymaut (derzeit 15,64 Euro pro Tag), die tagsüber in der Innenstadt erhoben wird.

Überwacht wird die rund um die Uhr fällige Umweltabgabe mittels einer flächendeckenden Kameraüberwachung des Londoner Großraums. Sämtliche in Großbritannien zugelassene Brummis sind in der TfL-Datenbank enthalten, ausländische Fahrzeuge müssen registriert werden. Die Kennzeichen werden mit den gespeicherten Informationen abgeglichen. Wer ohne Erlaubnis in der Umweltzone unterwegs ist, erhält einen Bußgeldbescheid von fast 1400 Euro.

Stolz sind die Verkehrsplaner im Rathaus auch darauf, dass mittlerweile 1300 der rund 6800 Busse in London mit Hybridantrieb unterwegs sind. Ab 2018 sollen nur noch Taxis mit besten Abgaswerten in der Hauptstadt fahren. Und von 2020 an tritt die sogenannte Ultraniedrig-Abgaszone (ULEZ) in Kraft. Dann wird für ältere Dieselfahrzeuge in der Innenstadt eine beinahe doppelt so hohe Citymaut fällig wie für moderne Fahrzeuge. Umgekehrt sind eine Reihe emissionsarmer Autos, die pro Kilometer weniger als 120 Gramm Kohlendioxid ausstoßen, ganz von der offiziell Verstopfungsgebühr ("congestion charge") genannten Maut befreit.

Weiterhin schlechte Werte

Die Maßnahmen seien zu zögerlich und kämen zu spät, wenden Kritiker ein. Denn auch jüngere Messungen brachten alarmierende Ergebnisse. Eine Messstelle an der vielbefahrenen Marylebone Road ergab 2012 laut Europäischer Umweltbehörde EEA den höchsten Wert in der EU. Mit 94 Mikrogramm lag die Belastung um mehr als das Doppelte über dem EU-Grenzwert 40. An Londons berühmtester Einkaufsmeile Oxford Street, wo vor allem Busse und Taxis fahren, maßen Umweltlobbyisten ein Jahr später sogar 135 Mikrogramm.

Bürgermeister Johnson hingegen fordert mehr Hilfe von der Londoner Regierung sowie vom Kontinent, schließlich stammten "große Mengen giftiger Abgase aus dem Ausland". (Sebastian Borger aus London, 10.9.2015)