Vor der Grundsatzrede Jean-Claude Junckers vor dem EU-Parlament am Mittwoch in Straßburg gab es zwei entscheidende Fragen: Wird es dem EU-Kommissionschef angesichts der dramatischen Flüchtlingskrise in Europa gelingen, die richtigen Worte zu finden? Noch wichtiger aber war, ob Juncker auch adäquate Vorschläge unterbreiten kann, damit die EU einen gemeinsamen Lösungsansatz findet.

Die richtigen Worte hat Juncker gefunden. An die Adresse all jener Bürger und Politiker gerichtet, die Kriegsflüchtlinge nur zögerlich oder am liebsten gar nicht aufnehmen wollen, sagte Juncker, dass das Recht auf Asyl eines der fundamentalsten Menschenrechte überhaupt sei. Er warb für Verständnis: Wer würde "angesichts von Krieg und Barbarei" nicht "mit seinem Kind auf dem Arm" flüchten, fragte der Kommissionschef. Der Luxemburger war aber auch mutig, als er endlich aussprach, dass die aktuelle Krise ein Moment außerordentlicher Stärke für den Kontinent sein könnte. Schließlich kann die EU stolz darauf sein, dass Menschen hierherkommen wollen, um Schutz und Sicherheit zu finden, "Europa ist ein Kontinent der Hoffnung", so der Kommissionschef.

Die politischen Maßnahmen, die Juncker vorschlug, sind dagegen höchstens ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der wichtigste Ansatzpunkt soll die faire Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aus Italien, Griechenland und Ungarn auf die übrigen EU-Länder sein. Das ist zwar ein sinnvoller Ansatz, denn in keinen anderen Ländern in der EU gibt es mehr erstankommende Asylsuchende. Rom, Athen und Budapest sind außerdem heillos überfordert mit der Situation, wie die Bilder von Lesbos und dem Keleti-Bahnhof zeigen. Eine Umverteilung gebietet auch die Fairness: Derzeit strömen die meisten Flüchtlinge nach Deutschland. Es kann aber nicht sein, dass die Bundesrepublik hunderttausende Asylsuchende aufnimmt, während Länder wie Polen und Tschechien nur zusehen.

Doch auch im Juncker-Plan fehlt eine ganz entscheidende Komponente. Die EU erlaubt Asylsuchenden nach wie vor nicht, auf legalem Weg in die Union einzureisen und hier Schutz zu beantragen. Es wagen ja nur deshalb tausende Menschen Tag für Tag "mit dem Kind auf dem Arm" die Überfahrt über das Mittelmeer, weil sie anders den Kontinent gar nicht erreichen können. Und daran wird sich nichts ändern, denn die Kommission will ja jene Flüchtlinge umverteilen, die schon da sind. Es gibt zwar einen noch aktuellen Plan aus dem Frühjahr, 22.000 Menschen nach Europa umzusiedeln, die aktuell in Flüchtlingslagern außerhalb der EU leben. Auch Österreich hat hier zugesagt, 1900 Menschen aufzunehmen.

Aber die Zahl von 22.000 ist angesichts der Fluchtbewegungen ein Witz. Rund vier Millionen Menschen sind aufgrund des Kriegs in Syrien auf der Flucht. Allein in der Türkei leben rund zwei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern, im Libanon sind es eine Million. Hier müsste die Union ansetzen. Es wird nicht reichen, diese Länder finanziell zu unterstützen. Die EU müsste legale Möglichkeiten schaffen, in der Türkei und in speziellen Zentren in Nordafrika Asyl beantragen zu können.

Dann werden statt 22.000 vielleicht 200.000 oder mehr kommen? Möglich. Aber wer dafür sorgen will, dass keine toten Kinder mehr an die Mittelmeerküste gespült werden, muss jetzt die Tore Europas weiter aufmachen. (András Szigetvari, 9.9.2015)