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In den 28 Gemeinden des Tokajer Weingebiets wird ausschließlich Weißwein angebaut.

Foto: Attila Balazs / MTI / picturedesk.com

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Die trockenen Weißweine von Pendits sind frei von Chemie.

Foto: Pendits

Ebenso die Weine von Szepsy.

Foto: Szepsy

Es ist eine gefühlte Weltreise. Mit dem Zug von Wien nach Tokaj im äußersten Nordosten Ungarns dauert es schon einmal sieben Stunden. Man hat das Gefühl, am Ende der Welt gelandet zu sein: verwaiste Dörfer, menschenleere Straßen und eine Landschaft, scheinbar unberührt vom Fortschritt der letzten Jahrhunderte. Nichts deutet darauf hin, dass es sich um eine der bedeutendsten Weinregionen handelt. Das Tokajer Weingebiet erstreckt sich über eine Länge von 87 Kilometern und liegt zwischen den beiden Flüssen Theiß und Bodrog. Das Anbaugebiet besticht vor allem durch seine vulkanische Hügellandschaft. 2002 hat die Unesco das Tokajer Weingebiet zum Weltkulturerbe als "Kulturlandschaft" erklärt.

Es gibt wenige Gebiete weltweit, in denen großflächig edelfaule Süßweine erzeugt werden: Sauternes, Rheingau, Neusiedler See und eben Tokaj. Nur dort herrscht das spezielle Mikroklima, das den regelmäßigen Befall der Trauben mit Botrytis cinerea begünstigt. Der Edelschimmel lässt das Wasser in den Beeren verdunsten – was übrig bleibt, ist pures Konzentrat. Das Herz des Weines sozusagen.

Wein der Könige

Süßweine aus dem Tokajer Weingebiet zählen zu den besten ihrer Art. Der legendäre britische Weinkritiker Michael Broadbent etwa beschreibt sie als "ambrosianischen Nektar, dessen Duft und Geschmack nicht von dieser Welt ist!"

Es ist dieser Mix aus vulkanischen Böden und kühl-feuchtem Klima, der die Weine so besonders macht – feingliedrig, beinahe zerbrechlich. Tokajer verweisen auf eine ruhmvolle Geschichte: Schon vor Jahrhunderten schlürften Kaiser, Könige und diejenigen, die es sich leisten konnten, am liebsten die edle, goldfarbene Kreszenz. Ludwig dem XIV. verdankt sie die Bezeichnung "Wein der Könige – König der Weine ", und die russischen Zaren haben sich das Zeug in groben Mengen an ihren Hof liefern lassen.

Doch der Glanz von einst scheint verblasst. Unter kommunistischer Herrschaft ist der Tokaj Aszú, wie der edle Süßwein in Ungarn heißt, zum Industriewein verkommen: elendiglich klebrig und flach. Von dem Niedergang hat sich die Region auch nach der Öffnung nicht mehr erholt – trotz Privatisierung und des Einzugs internationaler Investoren. Sie gründeten neue Weingüter, sicherten sich die besten Lagen und hofften auf eine leuchtende Zukunft. Brachliegende Weingärten wurden reaktiviert und altes Wissen wiedererworben. Vor allem selbstständige Winzer überzeugen mit herausragender Qualität.

Doch das Geschäft mit dem süßen Wein kam nicht mehr richtig in die Gänge. Schuld daran sind weltweite Absatzprobleme von Süßweinen, über die in der Branche niemand gerne spricht. Die einst so begehrten Gewächse sind offensichtlich völlig aus der Mode gekommen.

Trocken statt süß

Anfang dieses Jahrhunderts entschlossen sich die ersten Tokajer Winzer, vermehrt trockene Weine zu produzieren. Eine Revolution: Nie hatte jemand auch nur im Traum daran gedacht. Inzwischen ist der einstige Star aber sogar zum Nebendarsteller geworden.

Selbst István Szepsy, Galionsfigur der Region, hat nach anfänglicher Skepsis umgeschwenkt. Szepsy gilt als der Meister des "Tokaj aszú",und trotzdem sieht auch er keine Zukunft für süße Weine. Die Methode ist aufwendig und kostspielig, der Output gering.

Immer mehr Winzer setzen nun auf trockene Weißweine: Attila Homonna etwa ist davon besessen, aus den heimischen Rebsorten Furmint und Lindenblättriger markante Weine zu machen, die das besondere Terroir der Region ungeschminkt zeigen.

Vor allem Furmint, die wichtigste Sorte des Tokajer Weinanbaugebiets, sei dafür wie geschaffen. Aus ihr entstehen tiefschürfende Weine, wenn man sie lässt. Homonna entlockt ihr das Äußerste. Aus bis zu 80 Jahre alten Rebstöcken, die nie in Kontakt mit Chemie kommen, gelingen ihm Weine der Extraklasse. Weine, die sich einprägen. Der Winzer bewirtschaftet im Dorf Erdobénye sein 2,9 Hektar großes Anbaugebiet. Ursprünglich war er als Journalist und Verleger tätig und hatte mit Weinen nichts am Hut. Umso behutsamer und liebevoller presst er mit einer alten Presse seine Weine und schenkt ihnen besondere Aufmerksamkeit.

Bio-Wein

Auch Stefan Wille-Baumkauff, einem Deutschen mit ungarischen Wurzeln, hat es das Tokajer Weingebiet mit seinen vielfältigen Vulkanböden angetan. Die Eltern haben nach der Öffnung ein paar herausragende Lagen ergattert. Damals, als sie noch leistbar waren. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters, hat er in Hannover alle Zelte abgebrochen und sich im Tokajer Weinanbaugebiet niedergelassen. Mit seinem Weingut Pendits will er beweisen, dass hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, trockene Weine entstehen, die die Welt vielleicht nicht braucht, aber trotzdem unbedingt haben sollte.

Die steilen Weingärten bewirtschaftet er nach biodynamischen Prinzipien. Sie werden wie früher von einem Pferd beackert. Am Anfang haben ihn alle belächelt, inzwischen beobachten sie ihn heimlich im Weingarten. Er hat es nicht leicht als Deutscher in Ungarn: Die hiesige Bürokratie macht ihm zu schaffen – und auch das " phlegmatische Temperament" der Menschen. Aber er besitzt eine ausgeprägte Kämpfermentalität: Unerbittlich saniert er brachliegende Weingärten, baut alte Terrassen Stein für Stein auf. Sogar die Straßen zu den Steillagen muss er mit der Baumsäge freilegen.

Reich wird er damit nicht, aber das Ergebnis lässt ihn jedes Jahr weiterkämpfen: Seine Weine machen die Besonderheit des Tokajer Weingebiets verständlich – zeigen das Wesen dieser eigenwilligen Gegend. Und sie haben das Zeug, ihren einstigen Glanz wieder zum Leuchten zu bringen. (Christina Fieber, Rondo, 1.10.2015)