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Unmögliche Anfänge und Geschichten, die nicht enden: Martin Amis.

Foto: reuters

Wien – Der Schriftsteller Martin Amis (66) kokettiert nicht ungern mit dem Bild des "Enfant terrible" der britischen Literatur, das ihm die Medien anheften. Und so regelmäßig, wie seine Romane in den internationalen Feuilletons besprochen werden, schafft es Amis mit seinem Privatleben auch in die Klatschspalten. So war seine Scheidung ebenso öffentliches Thema wie eine Vorschussforderung von 800.000 Dollar für den Roman Information (1996) oder eine teure Zahnbehandlung, hinter welcher der in solchen Dingen wenig zimperliche britische Boulevard eine (mäßig erfolgreiche) Schönheitsoperation vermutete. Amis' Einlassungen zum Islam taten dann ein Übriges.

Liebe und Massenmord

Es ist nun schon ein Jahr her, dass Amis in England unter großem Tamtam seinen im Konzentrationslager spielenden, in weiten Teilen aus der Täterperspektive erzählten Roman Zone of Interest vorlegte. Er wurde wohlwollend aufgenommen und mit den üblichen Zuschreibungen "Atemberaubend", "Meisterwerk", "kühle Komik" versehen, allerdings von Amis' deutschem Hausverlag Hanser dankend abgelehnt – wie von Gallimard in Frankreich auch.

Nun liegt das Buch unter dem Titel Interessengebiet in deutscher Übersetzung von Werner Schmitz im Kein&Aber-Verlag vor. Die Resonanz auf das zuweilen ins Groteske abdriftende Melodram – fast schon eine Schmonzette – über eine unmögliche Liebe am Ort des Massenmords hält sich in Grenzen. Das liegt auch dran, dass es Amis dem Leser durch den kühlen, unbeteiligten Ton, in dem von Mord, Menschenschinderei und Abgründen aller Art erzählt wird, einfach macht, das Buch von der ersten Seite an nicht zu mögen. Allerdings ist die Anlage des Romans zwar nicht zwingend, doch komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.

Alles beginnt mit einem Mann und der "Meteorologie des ersten Blicks", der eine flanierende Frau mit zwei Kindern erfasst. Es wäre fast das Bild eines sonntäglichen Spaziergangs, wären da nicht die "dreirädrigen Galgen" im Hintergrund. Die Frau ist Hannah, "Firstlady" des KZ, also Gattin des Lagerkommandanten. Der sie beobachtende Mann heißt Angelus Thomsen, er ist Verbindungsoffizier, Neffe Martin Bormanns und neben dem Lagerkommandanten Doll sowie dem jüdischen Lagerinsassen Szmul einer der Ich-Erzähler von Interessengebiet.

Der aus drei Perspektiven entwickelte Roman dreht sich in weiten Teilen um die nicht ungefährliche Kontaktanbahnung Thomsens, eines sämtliche arische Klischees bedienenden Kerls mit Hannah, in die auch Szmul hineingezogen wird. Was dem Lagerkommandanten, der sich für einen "normalen Mann mit normalen Gefühlen" hält, nicht verborgen bleibt.

Ich-Zentriertheit

Vieles spielt sich in Interessengebiet im Kopf seiner Figuren ab, und es ist diese Innenperspektive und Ich-Zentriertheit, die den Text passagenweise fast unerträglich macht. Denn natürlich wird auch der Lageralltag beschrieben, dies aber vor allem von Doll und Thomsen, die darin vornehmlich ein olfaktorisches und organisatorisches Problem sehen. Der eine, Doll, hat Leichenzahlen nach Berlin zu liefern, der andere soll für Bormann das KZ III schnell fertigstellen. Dort werden die Zwangsarbeiter eingesperrt, die für die Buna-Werke der IG Farben (synthetischer Treibstoff) schuften und Gewinne erwirtschaften sollen. Primo Levi war einer davon.

Diese Buna-Passagen sind es auch, die das nie bei seinem Namen genannte Konzentrationslager auf der Landkarte verorten. Es ist Auschwitz, dessen Rampe, wie Ruth Klüger in weiter leben schreibt, die "Sackgasse im Amoklauf einer besessenen Kultur" ist.

Es ist der perspektivischen Ausrichtung dieses Buches geschuldet, dass dem Lagerinsassen Szmul die kürzesten Passagen gewidmet sind. Er aber wird es sein, der mit seinen in einer Blechdose vergrabenen Aufzeichnungen Zeugnis ablegt. Der Roman endet indes einige Jahre nach dem Krieg. Doll wurde hingerichtet, Szmul umgebracht, Hannah und Thomsen aber leben. Man hat sich mit den neuen Machthabern arrangiert, konnte sich allerdings im Falle Thomsens "kein eigenständiges Innenleben" mehr erschaffen.

Das Interessengebiet, daran lässt Amis keinen Zweifel, ist immer auch der Einzelne. Im Lager, so Thomsen, "fühlte ich mich wie jeder Täter verdoppelt (das bin ich, das bin ich aber auch nicht; es gibt ein weiteres Ich); nach dem Krieg fühlte ich mich halbiert."

Das gilt erst recht für die überlebenden Opfer. Ruth Klüger dazu in unterwegs verloren: "Was unterwegs verloren geht, bist immer du selbst, und der nächste Ankunftsort besteht, wie die vorigen, aus dem Jetzt und dem Damals, es gibt keinen neuen Anfang, nur Fortsetzungen auf einem Weg, der zusehends schmaler wird." (Stefan Gmünder, 8.9.2015)