Die Kärntner Slowenin Maja Haderlap, lange Jahre Dramaturgin und Lyrikerin, erobert sukzessive die heimischen Bühnen. Auf den "Engel des Vergessens" folgt die Dramatisierung einer Lavant-Erzählung.


Foto: Johannes Puch

STANDARD: Ihr Roman "Engel des Vergessens" handelt vom Leben zwischen den Sprachen. Das Slowenische ist Ihre Muttersprache. Die zweite Sprache, das Deutsche, vermittelt einen komplett anderen Zugang zur Welt. Bedeutet der Transfer des Romans auf die Bühne nicht die Hinzuziehung einer weiteren Sprache, derjenigen der szenischen Übersetzung? Schafft das nicht neue Befremdlichkeiten?

Haderlap: Das habe ich tatsächlich so empfunden, dass man übersetzen muss, etwas über den Fluss an das andere Ufer hinüberbringen muss. Im Theater muss die Sprache aus dem Kopf wieder in den Körper fahren, erlebbar und sinnlich gemacht werden. Die Sätze bekommen durch die Schauspieler einen eigenen Körper, eine eigene Präsenz, auch eine eigene Wirklichkeit. Als Autorin bin ich auch Zuseherin bei diesem Verwandlungsprozess.

STANDARD: Inwieweit haben Sie sich mit Regisseur Georg Schmiedleitner abgesprochen bei der Herstellung einer Bühnenfassung? Fiel es Ihnen schwer, Ihr Roman-"Kind" aus der Hand zu geben?

Haderlap: Ich habe mir ein Herz gefasst und war bereit, vieles aus der Hand zu geben. Wir haben gemeinsam das szenische Konzept der Bühnenfassung entwickelt und alles abgesprochen. Ich habe dann das Textgebäude geschliffen und gebaut. Nach intensiven Arbeitsphasen mit Georg Schmiedleitner litt ich an merkwürdigen Phantomschmerzen. Es war mir, als ob ich noch einmal die Familiengeschichte durchleben müsste, obwohl sie sich durch den Roman von mir nahezu gänzlich unabhängig gemacht hat. Es war, wie wenn man in der Nacht durch einen Wald geht und nur noch Schemen des Vergangenen erkennt, an die man nicht mehr herankommt. Aber eine große Unruhe war da, das war schon komisch.

STANDARD: Konnten Sie auf Ihre langjährigen Erfahrungen als Dramaturgin in Klagenfurt zurückgreifen? Oder fällt es schwer, das Modell der Arbeitsteilung bei einem eigenen Text beizubehalten?

Haderlap: Meine Erfahrungen als Dramaturgin haben mir sehr geholfen. Die Dramaturgin und ich arbeiteten Hand in Hand, was ja in den Theatern oft zu kurz kommt oder zu völligen Missverständnissen führt.

STANDARD: Wird man demnächst regelrechte Stücke aus Ihrer Schreibstube bewundern dürfen?

Haderlap: Dazu müsste ich erst eine eigene Bühnensprache entwickeln, da bin mir noch nicht sicher. Zuletzt habe ich mich an einem Libretto versucht, aber es ist noch zu früh, um Näheres darüber zu sagen.

STANDARD: Was macht man auf der Bühne mit der zweifachen Engels-Gestalt, die in Ihrem Roman eine so wichtige Rolle spielt?

Haderlap: Ein Engel kommt szenisch vor, wenn auch nicht der Engel des Vergessens, wie ihn Schalom Asch beschrieb oder ich in meinem Roman geschildert habe. Da unterscheidet sich die Bühnensprache doch beträchtlich von der Sprache des Romans, bei dem man andere Verfahren anwendet. Ich finde es richtig, dass es Unterschiede zwischen einer Theatererzählung und einem Roman gibt. Nicht alles ist übertragbar, und jede Kunstform lebt von ihren spezifischen Qualitäten.

STANDARD: Wie "frei" konnten oder können Sie mit der Vorlage des Lavant'schen "Wechselbälgchens" umgehen? Die Dramatisierung der Christine-Lavant-Erzählung wird am 4. Dezember im Volx/Margareten vorgestellt.

Haderlap: Die Freiheit liegt diesfalls in der Beschränkung. Ich wollte mit dem Vorhandenen arbeiten und es für die Bühne lebendig machen. Bei der Lavant dazuzudichten, wollte ich mir nicht anmaßen. Die Geschichte des "Wechselbälgchens" ist verstörend, atavistisch und archaisch. Ich träume davon, dass die Bühnenfassung die Kraft eines Karl Schönherr entwickelte, ein wagemutiger Traum. (Ronald Pohl, 7.9.2015)