Budapest – Die auf der Autobahn M5 marschierenden hunderten Flüchtlinge, die am frühen Montagabend aus der Sammelstelle in Röszke nahe der serbischen Grenze ausgebrochen waren, lassen sich von der Polizei nicht aufhalten, berichtete der Sender Hir.TV. Einige Migranten seien angesichts der Polizeisperre aber in die Sammelstelle zurückgekehrt.

Eine Schwangere soll zusammengebrochen sein, sie wurde in ein Spital gebracht. Alle Versuche der Polizei, die bereits Marschierenden zur Rückkehr zu bewegen, schlugen fehl.

Nacht im Freien verbracht

Laut Hir.TV wüssten viele der Migranten über das notwendige Verfahren der Registrierung in der EU nicht Bescheid. Sie hätten Angst davor, in ein Lager eingesperrt zu werden. Beteuerungen der Polizei wurde laut dem Fernsehsender kein Glauben geschenkt. Die Flüchtlinge sollen ihre Hoffnung geäußert haben, mit Bussen abgeholt und nach Österreich gebracht zu werden – wie das bereits in der Nacht auf Samstag mit den Flüchtlingen vom Budapester Ostbahnhof geschehen war. Ein Großteil der Migranten will nach Deutschland.

Noch vor ihrer Flucht hatten die Flüchtlinge den langsamen Prozess der Registrierung in Ungarn kritisiert. Hunderte hatten deswegen die Nacht auf Montag im Freien verbringen müssen.

Ungarns Premier Viktor Orban besuchte indes am Montag die Südgrenze des Landes nahe Morahalom, wo er mit den Soldaten, die die Grenzsperre errichten, sowie Polizisten sprach. Über einen etwaigen Besuch Orbans in Röszke war zunächst nichts bekannt.

Ansonsten verlief der Montag ruhig in Ungarn. Eine kleine Gruppe aus dem Flüchtlingslager Vamosszabadi marschierte nach Györ, um von dort in den Westen zu reisen. Laut dem Portal "444.hu" durften Taxifahrer nun Flüchtlinge vom Auffanglager Vamosszabadi zum Györer Bahnhof transportieren. Zuvor habe es eine Vereinbarung zwischen Staat und Taxiunternehmen gegeben, die den Transport von Flüchtlingen nicht mehr unter Strafe stellt.

Am Ostbahnhof in Budapest starteten wieder internationale Züge nach Westeuropa. Immer weniger Flüchtlinge warten an den Bahnsteigen, von denen Züge nach Österreich und Deutschland abfahren. Die Transitzone in der Unterführung des Bahnhofes war nahezu leer. Die Migranten, ihre Zelte, Decken waren verschwunden. Lediglich Kleiderberge von Hilfsorganisationen lagen auf der Erde, bei denen sich vor allem Obdachlose bedienten. Vertreter einer arabischen Gemeinschaft aus Österreich boten Lebensmittel an einem Stand an – die Nachfrage war allerdings sehr gering.

Gesetze verschärft

In der Flüchtlingskrise hat das ungarische Parlament vorige Woche im Eilverfahren die Einwanderungsgesetze verschärft. Sie beinhalten härtere Strafen für illegalen Grenzübertritt und Schlepper. Somit gilt ab dem 15. September der illegale Grenzübertritt in Ungarn nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat und kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden.

Wird bei dem illegalen Grenzübertritt die Sperre (Zaun) an der Grenze zu Serbien beschädigt bzw. deren Bau behindert, kann die Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre betragen. Liegt sie unter fünf Jahren, kann sie auch zur Bewährung ausgesetzt werden, verfügt das neue Gesetz.

20 Jahre für Schlepper möglich

Verschärft wurden auch Strafen für Schlepper, die künftig bis zu 20 Jahre Haft betragen können. Mit der Gesetzesmodifizierung wird auch der Begriff des "Einwanderungsnotstandes" eingeführt, der im Fall von Masseneinwanderung ausgerufen werden kann. Im Falle des Notstandes kann auch die Armee eingesetzt werden.

Eine Einreise nach Ungarn wird nur an den Grenzübergängen bzw. speziellen Registrierungsstellen legal möglich. Diese werden entlang der 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien eingerichtet. Wer hier eine Registrierung, den Antrag auf Asyl verweigert, der wird umgehend abgeschoben.

Wer einen Antrag stellt, auf den wartet ein verkürztes Asylverfahren von maximal zehn Tagen. Die Antragsteller warten bis zur Entscheidung in einer 60 Meter breiten Grenzzone an der ungarisch-serbischen Grenze. Strafen bis zu vier Jahren warten auf die, die eigenwillig die Zone in Richtung ungarisches Landesinnere verlassen.

Auch der illegale Grenzübertritt von Kroatien und Rumänien nach Ungarn wird mit solchen Strafen geahndet. Wer eine solche Straftat begeht, dessen Asylantrag wird automatisch abgelehnt.

Gegen Menschenrechtskonvention

Die deutsche Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) forderte nach einem Besuch des Flüchtlingslagers Röszke eine sofortige Schließung der Einrichtung. "Dieses Lager ist menschenunwürdig und gefährdet das Leben vor allem der kleinen Kinder", sagte Renner am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Situation der mehr als 2.000 Menschen dort sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Die Flüchtlinge schliefen unter freiem Himmel und seien ohne ärztliche Versorgung. Die einzig mögliche Lösung sei es, die Flüchtlinge in Bussen zur ungarisch-österreichischen Grenze zu bringen.

Renner ist nach eigenen Angaben am Freitag nach Ungarn gereist, um sich ein Bild von der Lage der Flüchtlinge dort zu machen. Sie warf dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbàn vor, "mit dem Leid dieser Menschen zu spielen, um den politischen Druck auf die Regierungen in Deutschland und Österreich zu verstärken und sich in der eigenen Bevölkerung die Zustimmung zur weiteren Verstärkung des Grenzzauns zu erkaufen".

Ausnahmefall

Deutschland lässt indessen offen, wie lange die Ausnahmen für in Ungarn gestrandete Flüchtlinge zur Einreise nach Deutschland noch gelten sollen. Allerdings betonte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin, bei der Entscheidung Deutschlands und Österreichs am Wochenende sei es um eine "humanitäre Notsituation" gegangen, da die Situation für Tausende Flüchtlinge in Ungarn ein unerträgliches Ausmaß angenommen habe. "Es ist also ein Ausnahmefall, in dem wurde rasch entschieden", sagte Seibert.

Dies ändere aber nichts daran, dass sich jeder EU-Staat – so auch Ungarn – an die gemeinsamen Verpflichtungen halten müsse, sagte Seibert. Hierzu gehört in erster Linie das Dublin-Abkommen, wonach Flüchtling in dem Land ein Asylverfahren durchlaufen müssen, wo sie erstmals in die EU gelangt sind.

Der Sprecher des Innenministeriums, Harald Neymanns, sagte: "Wir gehen davon aus, dass die ungarische Seite und die österreichische Seite sich an die Verpflichtungen weiter halten." Er machte zugleich deutlich, dass die Bundesregierung den Zustand nicht dauerhaft hinnehmen will: "Sollte sich an den grundsätzlichen Zahlen, die derzeit nach Deutschland kommen, nichts ändern, wird man noch mal intensive Gespräche suchen müssen."

4.000 Flüchtlinge in Serbien

In Ungarn treffen nach Medienberichten kontinuierlich weiterhin neue Flüchtlinge aus Serbien ein. Dort wiederum kamen über das Wochenende 4.000 weitere Flüchtlinge an, wie der serbische TV-Sender RTS unter Berufung auf Behördenangaben berichtete. Dem Sender zufolge werden im Aufnahmelager Miratovac bei Presevo an der Grenze zu Mazedonien am Montag weitere Ankömmlinge erwartet.

Serbien warnte am Montag, dass seine Vorräte für Hilfe an Flüchtlinge am Ende seien. Man brauche größere Finanzhilfe, um die Richtung EU-Staaten ziehenden Flüchtlinge zu versorgen, erklärte Arbeitsminister Aleksandar Vulin gegenüber RTS. Außenminister Ivica Dacic kritisierte unterdessen die EU, der er vorwarf, mit zweierlei Maß in der Krise zu messen. "Wenn Finanzmittel verteilt werden, dann sind wir kein EU-Mitglied, wenn Flüchtlingsquoten zur Debatte stehen, gehören wir dazu", klagte Dacic am Sonntag.

Am Ostbahnhof in Budapest herrschte unterdessen Ruhe. Hier hielten sich am Montag in der Transitzone nur wenig Flüchtlinge auf. Auch die Polizeipräsenz dort wurde verringert. Laut den Ungarischen Staatsbahnen (MAV) soll der internationale Zugverkehr ab dem (heutigen) Montag wieder nach dem alten Fahrplan verlaufen, so dass kein Umsteigen in Hegyeshalom mehr erforderlich sei. (APA, Reuters, 7.9.2015)