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Flüchtlinge überqueren die ungarisch-österreichische Grenze.

Foto: EPA/Roland Schlager

Die österreichischen Behörden – allen voran jene des Burgenlandes – haben in der Nacht auf Samstag schnell reagiert und alles Mögliche getan, um den Transport und die Versorgung von Tausenden Flüchtlingen zu gewährleisten. Binnen weniger Stunden all das auf die Beine zu stellen, ist an sich schon eine Herkulesaufgabe – und das vor einem Wochenende. Beeindruckend ist auch die schnelle Reaktion der Hilfsorganisationen und Unterstützung durch die Bevölkerung in Österreich.

Erschwert wurde diese Herausforderung zusätzlich durch die ungarischen Behörden, die alles andere als kooperativ waren und nicht einmal bereit waren, die Menschen in den Bussen das kurze Stück noch über die österreichische Grenze zu bringen. Auch das ist eine Schikane von ungarischer Seite, eine Vielzahl davon hat es in den vergangenen Tagen schon gegeben.

Bundeskanzler Werner Faymann und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel haben eine richtige Entscheidung getroffen, die in Ungarn festgehaltenen Flüchtlinge einreisen zu lassen. Damit ist die von Ungarn bewirkte Blockade gelöst worden.

Erinnerungen an 1989

Bei der aus Ostdeutschland stammenden Regierungschefin hat sicherlich eine Rolle gespielt, dass diese Bilder an die Situation der DDR-Flüchtlinge 1989 erinnern. Hunderte Menschen haben sich damals in die Botschaft der BRD in Prag geflüchtet und durften dann mit Zügen ausreisen. Merkel sieht eine humanitäre Verpflichtung ihres Landes, Menschen, die vor dem Krieg fliehen, aufzunehmen.

Für Faymann war die Entscheidung leichter, weil die meisten Österreich nur als Durchgangsstation sehen und weiter Richtung Deutschland wollen. Das hat sich auch am Montagabend gezeigt, als nur acht von mehreren tausend Flüchtlingen, die kurzzeitig in Zügen aus Ungarn ausreisen durften, einen Asylantrag in Österreich gestellt haben. Aber der logistische Kraftakt, diese Ausnahmesituation zu bewältigen, liegt zuallererst bei Österreich.

Die ungarische Regierung hat sich eines Problems entledigt und die Flüchtlinge nun doch ziehen lassen: Was sich in den vergangenen Tagen rund um den Bahnhof Keleti in Budapest abgespielt hat, war für die Betroffenen eine unzumutbare Situation. Man kann sich auch die hygienische Situation kaum vorstellen, die in dem Zug in Becske herrschte, in dem jene Menschen ausharrten, die nicht in ein Lager transportiert werden wollten und in dem guten Glauben eingestiegen waren, die Waggons fahren nach Österreich.

Flüchtlinge als Orbáns Faustpfand

Der ungarische Premier Viktor Orbán hat Flüchtlinge offensichtlich als Faustpfand für seine Verhandlungen auf EU-Ebene benutzt, um seine Forderung nach mehr EU-Hilfe zu unterstreichen. Man kann das politische Erpressung nennen und das auf dem Rücken von Flüchtlingen. Menschenrechtskonform ist diese Vorgangsweise nicht – und das mitten in Europa.

Solche Verhältnisse wie in Ungarn gereichen der EU, die weltweit Menschenrechte einfordert und mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, zur Schande. Dass Orbán mit seiner Partei Fidesz noch immer Mitglied in der Europäischen Volkspartei ist, die sich christliche Werte zugute hält, sollte die Organisation, wie von einigen Politikern bereits gefordert, nach diesen Vorkommnissen erst recht diskutieren.

Orbán hat mit seiner Vorgangsweise erreicht, was er erreichen wollte: die Flüchtlinge ziehen aus Ungarn ab. Seine Vorgangsweise wird von einer Mehrheit seiner Landsleute unterstützt. Wer als Flüchtling Richtung Deutschland oder Schweden will, wird in Zukunft einen großen Bogen um sein Land machen.

Wenig Solidarität im Osten

Dass die Regierungschefs von Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen am Freitagabend bei einem Treffen in Prag erklärt haben, sie widersetzen sich weiter einer fixen Quote zur Verteilung von Flüchtlingen auf EU-Staaten, offenbart Erschreckendes: Es sind just jene Staaten, die jahrzehntelang hinter dem Eisernen Vorhang verbannt waren und die selbst viel Solidarität – auch finanzielle – in der Union erfahren haben. Es geht ein tiefer Riss durch die EU.

Merkel und der französische Premier Francois Hollande, der sich nun doch dem Vorschlag aus Deutschland nach einer fairen Verteilung angeschlossen hat, werden noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Eine rechtliche Handhabe bietet Artikel 80 des Lissaboner Vertrages. Darin ist der "Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedsstaaten" festgeschrieben. Dieser EU-Rechtsakt enthält sogar die Möglichkeit, "entsprechende Maßnahmen zu setzen", um die zitierten Grundsätze "anzuwenden".

Diese Grundregeln sollten angewendet werden, denn es handelt sich um eine humanitäre Krisensituation. Der Umgang mit Flüchtlingen ist für die EU eine weit größere und länger andauernde Herausforderung als die Eurokrise. (Alexandra Föderl-Schmid, 5.9.2015)