Niederlande: Die Schule entscheidet, wie gelernt wird

Einen Lehrplan gibt es in den Niederlanden nicht. Kein Land innerhalb der OECD lässt seinen Schulen so viel Freiraum: 86 Prozent aller Entscheidungen werden am Standort selbst getroffen, in Österreich sind es 31 Prozent.

Das hat auch große Auswirkungen auf die Lehrinhalte. Der Lehrplan richtet sich nach dem Schwerpunkt der Schule und nicht nach den Vorgaben des Ministeriums. Auch die Schulbücher – und ob es überhaupt welche gibt – wählt jede Schule selbst aus. Der Schule steht frei, wie sie die Lehrinhalte vermittelt. Für die Einstellung der Lehrer ist ebenfalls die Schule verantwortlich.

Diese vielen Freiheiten gehen auf die niederländische Verfassung zurück, die jedem das Recht einräumt, eine Schule zu gründen. Egal, ob öffentlich oder privat: Jede Schule wird vom Staat mit einem Pro-Kopf-Budget finanziert. Standorte, die sozial benachteiligte Schüler aufnehmen, bekommen mehr Geld. So soll die Herausbildung von Eliteschulen vermieden werden. Einige Privatschulen fordern allerdings zusätzlich "freiwillige" Elternbeiträge.

In einem so freien System haben Schulinspektoren eine tragende Rolle. Mindestens alle vier Jahre besuchen sie die Schulen und überprüfen die Qualität. Die Ergebnisse der Tests sind öffentlich. So wissen Eltern im Vorhinein, wie gut die Schule abgeschnitten hat, die ihre Kinder künftig besuchen sollen.

Die niederländischen Schüler werden zudem zentral geprüft. Nach der Volksschule, die bis zum 12. Lebensjahr dauert, legen sie einen Test ab, bei dem Sprach- und Mathematikkenntnisse abgefragt werden. Auch die Reifeprüfung wird zentral vom Bildungsministerium durchgeführt.

Trotz der großen Freiheiten gibt es aber auch in den Niederlanden Einschränkungen. Bis zum zwölften Lebensjahr werden die Schüler gemeinsam unterrichtet, danach gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Schultypen. Die frühe Trennung sorgt für Kritik.

Wer sich einmal für den berufsorientierten Zweig entschieden hat, kann nur schwer in jenen wechseln, der auf die Universität vorbereitet. (Lisa Kogelnik, 5.9.2015)

Schweiz: Deutschsprachige Kantone setzen auf Kompetenzen

Der "Lehrplan 21" vereinheitlicht Lernziele

In der Schweiz ist, wie so vieles, auch das Bildungswesen kantonal geregelt. Umso bemerkenswerter ist, dass sich die 21 Kantone der deutschsprachigen Schweiz im letzten Herbst auf einen gemeinsamen Lehrplan geeinigt haben.

Dieser "Lehrplan 21" soll nun Schritt für Schritt bis 2018 in allen beteiligten Kantonen umgesetzt werden und damit den Familien mit schulpflichtigen Kindern den Umzug von einem Kanton in den anderen erleichtern.

Dabei hat man nicht nur die einzelnen kantonalen Lehrpläne harmonisiert: "Der ,Lehrplan 21' ist ein großer Schritt vorwärts", sagt Beat Zemp, der Vorsitzende des Schweizer Lehrer-Dachverbandes LCH. "Wir haben nun einen Plan für die gesamte Schullaufbahn, vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe; die Brüche beim Übergang von einer Stufe in die nächste fallen weg."

Statt Wissen auswendig zu lernen und Lernziele zu erreichen, geht es nun – wie bei den neuen Bildungsstandards in Österreich (siehe Artikel links) – um Kompetenzen, die von den Schulkindern erarbeiten werden sollen. Zu den bisherigen kommen neue Lerninhalte hinzu: Medien und Informatik oder berufliche Orientierung werden aufgewertet. Der Umgang mit Geld und die Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge sollen vermittelt werden und die gesamte Bildung unter das Motto der nachhaltigen Entwicklung gestellt werden.

"Es wird vermehrt fächerübergreifend gearbeitet. Fast jedes Thema hat soziale, ökologische oder ökonomische Aspekte, die betrachtet werden können", sagt Zemp, dessen Verband die Einführung des neuen Lehrplans befürwortet, obwohl es an der Basis, bei den Lehrerinnen und Lehrern, auch kritische Stimmen gibt.

Kritik von Konservativen

Das weiß auch Christian Amsler. Der liberale Regierungsrat aus dem Kanton Schaffhausen hat die Erarbeitung des neuen Lehrplans geleitet und festgestellt, dass die neue Kompetenz-Orientierung in konservativen Kreisen nicht gut angekommen ist. "Viele befürchteten, es werde künftig zu wenig Wissen vermittelt und die Bildungsinhalte würden allzu beliebig. Das stimmt aber nicht: Kompetenz bedeutet, etwas zu wissen und sein Wissen auch anwenden zu können."

Die Kritik an der "Zentralisierung" des Bildungswesens kontert Amsler mit der Feststellung, dass der "Lehrplan 21" den einzelnen Kantonen einigen Spielraum bei der Ausgestaltung lasse. Der augenfälligste Unterschied ist, dass auch künftig nicht in jedem Deutschschweizer Kanton dieselben Fremdsprachen gelehrt werden. In der Ost- und Zentralschweiz wird als Erstes Englisch gelehrt, im Westen Französisch. (Klaus Bonanomi aus Bern, 5.9.2015)

Großbritannien: Zentrale Vorgaben zur Qualitätskontrolle

In Großbritannien waren traditionell die Kommunen für die Schulen zuständig. Um der Experimentierfreude linker Pädagogen einen Riegel vorzuschieben, führte die konservative Regierung Maggie Thatchers in den 1980er-Jahren einen landesweit geltenden Lehrplan ein.

Daran haben Regierungen unterschiedlicher Couleur festgehalten, obwohl die Zuständigkeit für das Bildungswesen mittlerweile regionalisiert ist. Die Londoner Regierung legt zentrale Lehrpläne für alle staatlichen Schulen in England fest. Die Regionalregierungen von Wales, Schottland und Nordirland haben jeweils eigene Bildungsministerien, wobei sich die Lehrpläne in Kernfächern wie Englisch, Mathematik und den Naturwissenschaften kaum unterscheiden.

Die Konservativen unter Premierminister David Cameron haben ein ursprünglich von Labour-Premier Tony Blair aufgelegtes Programm verstärkt, das kommunal verwalteten Schulen die Selbstständigkeit als sogenannte Akademien erlaubt. Diese müssen sich nicht an die jeweils geltenden staatlichen Lehrpläne halten, sondern einen "breiten Fächerkanon" unterrichten.

Da sie wie die Staatsschulen der Aufsicht der Londoner Behörde Ofsted unterliegen, halten sich auch für diesen Schultyp die Unterschiede in Grenzen.

Lehrer klagen

Lehrerverbände beklagen sich immer wieder über die mangelnde Freiheit ihrer Mitglieder bei der Gestaltung des Unterrichts. Zudem sei die Bildungspolitik ein Spielraum politischer Vorlieben.

Während im vergangenen Jahrzehnt der Schwerpunkt darauf lag, den Kindern weniger Fakten einzubläuen, sondern Kenntnisse zur eigenen Lernfähigkeit beizubringen, stand die Ägide des konservativen Erziehungsministers Michael Gove zwischen 2010 und 2014 im Zeichen traditionellerer Wissensvermittlung.

Dazu gehört beispielsweise für 14-Jährige die intensive Auseinandersetzung mit einem Stück des Nationaldichters William Shakespeare sowie die Beschäftigung mit der Nazizeit in Deutschland und Österreich. (Sebastian Borger aus London, 5.9.2015)