Wien – Die meisten Angeklagten trachten vor Gericht danach, einen möglichst guten Eindruck zu machen und aufrichtig und reumütig zu wirken. Süleyman A. fällt eher nicht in diese Kategorie. Sein Prozess ist für 9.30 Uhr angesetzt, Richter Andreas Hautz und die Staatsanwältin harren der Dinge, was fehlt, ist der 20-Jährige.

Nach zehn Minuten sucht der Richter die Handynummer heraus und ruft A. an. Der ist zwar grundsätzlich willig, zu kommen, allerdings befindet er sich noch am Matzleinsdorfer Platz. Was zur Folge hat, dass er erst mit 45 Minuten Verspätung ankommt.

"Sie nehmen das aber sehr ernst", merkt Hautz beim Auftritt des Angeklagten ironisch an. Die Reaktion ist taktisch unklug: A. sagt "Ja ja" und lacht dabei. Was dem Richter nicht unbedingt gefällt. "Warum sind Sie überhaupt zu spät gekommen?", fragt er streng. "Ich habe verschlafen." – "Und das soll jetzt eine Entschuldigung sein?" – "Ja, ich kann ja nichts dafür!" – "Wer denn sonst?" – "Ja, tut mir leid."

Strafantrag nicht gelesen

Warum er hier ist weiß der ohne Verteidiger erschienene Twen auch nicht, den zugesandten Strafantrag hat er nicht gelesen. Hautz muss ihm also auf die Sprünge helfen. A. hat im April als Torwache in einer Wiener Kaserne Dienst getan und sich nicht regelkonform verhalten. Als ihn der Wachkommandant zur Rede stellte, soll er aggressiv geworden sein und den Kontrahenten später attackiert haben.

Dazu bekennt er sich grundsätzlich auch schuldig. Den zweiten Vorwurf, er habe anschließend den Bericht über den Vorfall im Rapportbuch ausgeschwärzt, bestreitet er dagegen.

Seine Schilderungen bieten einen interessanten Einblick in die Gefechtsbereitschaft der Rekruten. "Man muss immer eine Stunde dastehen", erzählt der Angeklagte. "Da ist es üblich, wenn es fad ist, dass man eine raucht." Das tat auch er, der Wachkommandant untersagte es ihm.

Als Wache Pokemon gespielt

Als Alternative zückte A. sein Handy: "Ich habe Pokemon gespielt." Hautz fragt: "Soll man beim Wachdienst Pokemon spielen oder aufpassen?" Der Wachkommandant hatte darauf eine Antwort – und nahm seinem Untergebenen das Handy weg.

A. wurde wütend, schlug mit dem Gewehrkolben gegen die Wand. Anschließend versteckte er im Aufenthaltsraum die Matratze des Kontrahenten unter dem Bett. Nach unruhigem Schlaf wollte er nach eigenen Angaben den Offizier vom Tag anrufen. "Vom Dings – wie heißt das? Nicht Handy ..." Er muss einige Sekunden überlegen. "Ah ja, Festnetztelefon."

Auch das habe der Wachkommandant unterbunden, ihn stattdessen aufgefordert, mit ihm zum Offizier zu gehen. Die zweite Wache kam dazu, man eskortierte ihn. Im Gang gab er dem Wachkommandanten plötzlich einen Rempler, es kam zum Gerangel, bei dem er ihm auch einen Kopfstoß versetzte. Auch unschöne Worte fielen: "Scheißneger, du solltest gar nicht in Österreich sein", beispielsweise.

Desinteressierter Angeklagter

Die anderen Beteiligten bestätigen den Ablauf, betonen aber auch, dass nur sie vier Zugang zum Rapportbuch hatten und selbst nichts ausgestrichen haben. "Was sagen Sie dazu?", will Hautz von dem lässig auf der Anklagebank sitzenden A. nach einer der Aussagen wissen. "Ich habe jetzt nicht viel zugehört bei dem Zeugen", sagt der, leugnet aber weiter, der Schuldige zu sein.

Am Ende verliest der Richter noch die Ergebnisse der Jugenderhebung, die für die Zukunft nur bedingt optimistisch stimmen. Der junge Mann hat schon drei Lehren in verschiedenen Berufen begonnen, allerdings immer vor dem Abschluss gekündigt. Derzeit arbeitet er nicht. "Suchen Sie schon?", erkundigt sich Hautz. "Nein, ich fahre am Samstag für 15 Tage in die Türkei." – "Ach so, das ist verständlich, dass man dann nichts macht", ist der Richter wieder ironisch.

Dann verhängt er rechtskräftig eine Strafe von zwei Monaten bedingt, dazu gibt er die Weisung zu Bewährungshilfe – und hat eine schlechte Nachricht für den Angeklagten: "Eigentlich wollte ich das Verfahren gegen eine Geldstrafe einstellen. Aber Sie nehmen die Sache offensichtlich wirklich nicht ernst." (Michael Möseneder, 4.9.2015)