Petra Bernhardt beschäftigt sich als Politikwissenschafterin mit der Wirkung von Bildern.

Foto: STANDARD / Corn

Wien – Das Foto des syrischen Kindes, das leblos an einem türkischen Strand nahe dem Ferienort Bodrum angespült wurde, löst weltweit Bestürzung aus. Einigkeit besteht darin, dass es als schreckliches Symbol für die Flüchtlingskrise steht und den Staaten einen Spiegel vorhält – aber an der Frage, ob Medien es zeigen sollen, scheiden sich die Geister.

Die meisten britischen Blätter hatten es am Donnerstag auf dem Cover, in Deutschland gehen Medien zurückhaltender damit um. Die "Süddeutsche" verzichtete auf einen Abdruck, die "Bild"-Zeitung nicht. Zu sehen ist das Foto auch bei "Zeit Online" und "Spiegel Online". DER STANDARD zeigt es nicht.

"Abwägung von Menschenwürde"

Eine einfache Antwort auf die Frage, ob Medien das Foto veröffentlichen sollen, gebe es nicht, sagt Petra Bernhardt, Politikwissenschafterin an der Universität Wien mit dem Schwerpunkt visuelle Kommunikation, zum STANDARD: "Das müssen Medien im Rahmen eines redaktionsinternen Diskussionsprozesses in Abwägung von Menschenwürde der Abgebildeten, der Zumutbarkeit für das Publikum, der journalistischen Berichterstattungspflicht und des medienrechtlichen Rahmens selbst entscheiden."

Das sei auch eine Frage der "ethischen Selbstpositionierung". Es mache einen Unterschied, "ob ein Bild aufs Cover kommt und somit kein Wegsehen möglich macht oder ob es zum Beispiel online hinter einer 'graphic content warning'-Schranke abrufbar ist, wo das Publikum selbst entscheiden kann, ob es das Bild sehen will oder nicht." Bernhardt plädiert dafür, dass Medien ihre Entscheidung für oder gegen eine Publikation begründen.

Unterschiedliche Wirkung eines Bildes

Auf die Frage, ob so ein Foto, in dem sich der Horror dieser Flüchtlingskrise manifestiert, zu einem Umdenkprozess führen könne, gebe es keine generelle Antwort, denn: "Bilder haben auf ihre Betrachter nicht eine Wirkung, sondern können sehr unterschiedliche Wirkungen haben." Ein Beispiel? "Das Bild eines überfüllten Bahnhofs, auf dem Flüchtlinge auf eine Fahrgelegenheit nach Deutschland warten, kann je nach der persönlichen Einstellung zum Thema Flucht und Vertreibung sehr Unterschiedliches auslösen: Empathie, Hoffnung auf baldige Hilfe für die Menschen, Wut wegen der politischen Ohnmacht, vielleicht aber auch negative Gefühle und Angst."

Komplizierte Sachverhalte ließen sich nicht auf die Wirkung einzelner Bilder reduzieren, auch nicht im Falle des toten Kindes an dem Strand: "Die Bilder sind bereits um die Welt gegangen. Ob sie von politischen EntscheidungsträgerInnen oder von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen argumentativ eingesetzt werden – und wie –, lässt sich ebenso wenig absehen wie die Frage, ob das Foto irgendwann tatsächlich zu einem Referenzpunkt der Erinnerung an die aktuelle Krise wird."

Unterschied zum "Krone"-Foto

Die "Kronen Zeitung" hatte vorige Woche ein unverpixeltes Foto mit toten Flüchtlingen aus dem auf der A4 gefundenen Lkw abgedruckt und ihr Vorgehen mit der Notwendigkeit verteidigt, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Hier konstatiert Bernhardt einen klaren Unterschied zum Foto, das seit Mittwoch gezeigt wird. "Beim 'Krone'-Foto sind sich Medienethiker einig, dass es sich um einen klaren Ethikverstoß handelt", sagt sie. Und: "Die Toten wurden in voyeuristischer Weise zur Schau ausgestellt. Die Rechtfertigungsversuche der 'Krone', man wolle mit dem Bild aufrütteln, gehen angesichts der bisherigen Berichterstattungspraxis zum Thema Flucht und Vertreibung ins Leere und können als scheinheilig betrachtet werden." (Oliver Mark, 3.9.2015)