Mithilfe spezieller 3D-Technik haben Wiener Wissenschafter eine Technik entwickelt, mit der seltene Gliederfüßerspezies nun auch digital erforscht werden können.

Foto: Brian Metscher, Nesrine Akkari

Die Daten zur Untersuchtung von Ommatoiulus avatar sind online frei zugänglich abrufbar.

Foto: Brian Metscher, Nesrine Akkari

Wien – Jedes Jahr werden von Biologen tausende neue Tierarten entdeckt. Um diese gewaltige Menge neuer Spezies Wissenschaftern und einem interessierten Laien-Publikum gleichermaßen zugänglich machen, haben nun Wiener Forscher eine Möglichkeit entwickelt, neue Arten mit hoch aufgelösten 3D-Bildern nachzuformen und als erforschbare Avatare abzubilden.

Die erste wissenschaftliche Beschreibung einer neu entdeckten Spezies basiert normalerweise auf einem Exemplar, dem sogenannten Holotyp dieser Spezies, zuzüglich einiger weiterer Exemplare, den Paratypen. Die Betreuung dieser einzelnen Objekte – manchmal sehr seltene oder einzigartige Individuen – obliegt im Normalfall den Kuratoren von Museen. Dies macht zwar offenkundig Sinn, erschwert es aber Forschern, mit diesen Objekten eigenhändig zu arbeiten und etwaige neue Erkenntnisse zu machen.

Neue Arten in der dritten Dimension

Um die verschiedenen Arten zu unterscheiden, die anatomischen Informationen zu erfassen und zu verbreiten, wurde bislang auf taxonomische Beschreibungen, Zeichnungen und Fotografien zurückgegriffen. Ein internationales Forscherteam rund um Brian Metscher, Leiter des MicroCT Imaging Labors der Universität Wien, und Nesrine Akkari vom Naturhistorischen Museum Wien hat in einer neuen, im Fachzeitjournal "Plos One" präsentierten Studie die Möglichkeit entwickelt, seltene Funde in einer dritten Dimension abzubilden. Mittels moderner 3D-Bildgebungstechnologie – insbesondere X-Ray-Mikrotomographie (MicroCT) – lässt sich die Information zur gefundenen Art leichter verbreiten und es wird zudem auch eine verbesserte Untersuchung des Objekts ermöglicht. Das digitale Bild wird auch als "Cybertype" bezeichnet und ist für das Museumsobjekt der Eintritt in die Welt der webbasierten Biodiversitätsforschung.

Mit Hilfe der neuen Technologie konnten die Wissenschafter einen Cybertype der neuen Millipedenart (Tausendfüßer) Ommatoiulus avatar aus Spanien erstellen. Dies ist die erste neue Spezies, die mit der Hilfe von detaillierten 3D-Bildern nachgebildet werden konnte und deren Cybertypes auch als open-access-Ressource publiziert wurden. "Die Verwendung von virtuellen Exemplaren zeigt uns, wie effizient wissenschaftliche Daten gewonnen werden können, ohne dass das tatsächliche Exemplar seziert werden muss", meint Akkari. "Gleichzeitig gibt es uns einen generellen Überblick der verschiedenen anatomischen Strukturen und deren natürlicher Position auf eine noch nie dagewesene Art", ergänzt Metscher.

Cybertype im Internet

Die veröffentlichten 3D-Bilder beinhalten mikroskopische Details mit einer Auflösung von wenigen Mikrometern und bieten damit eine sinnvolle Alternative zur physischen Untersuchung der Gliederfüßer. Die Bilder, Videos und 3D-Bilddaten der Cybertypes sind im "Dryad digital repository" kostenlos abrufbar, während die eigentlichen Objekte weiterhin sicher in den Naturhistorischen Museen aufbewahrt werden.

"Diese Speziesbeschreibung ist ein Beispiel dafür, wie sich die Praxis der Taxonomie stetig weiterentwickelt", erklärt Akkari, die auch interaktive Bestimmungsschlüssel entwickelt hat, um Millipedenspezies zu identifizieren. "Avatare werden die eigentlichen materiellen Exemplare nicht ersetzen, aber sie werden ganz sicher viel Wertvolles in der Erhaltung der Sammlungen der Naturhistorischen Museen beitragen – besonders bei zerbrechlichen und einzigartigen Objekten."

Weitere Avatare sollen folgen

Der Cybertype des Ommatoiulus avatar ist bisher einzigartig – zahlreiche weitere Avatare sollen aber noch folgen. Henrik Enghoff von der Universität Kopenhagen, der mit Akkari zusammenarbeitet, erklärte dazu: "Fast zwei Millionen Arten lebender Organismen wurden bisher wissenschaftlich beschrieben – aber ein Vielfaches dieser Zahl ist der Forschung noch völlig unbekannt. Jede Art hat besondere Merkmale und spielt eine einzigartige Rolle in der Natur – wenn wir wissen wollen wie die Natur funktioniert, müssen wir die Teilnehmer in diesem Spiel kennenlernen. Mit den Cybertypes kommen wir dem noch einen Schritt näher." (red, 1.9.2015)