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Roger Federer stürmte in der jüngeren Vergangenheit häufiger ans Netz. Bei langen Ballwechseln von der Grundlinie sind seine großen Gegner, der Serbe Novak Djokovic und der Schotte Andy Murray, oft besser.

Foto: apa/epa/maury

New York – Es grenzte fast an Majestätsbeleidigung. Immer wieder stürmte Roger Federer vor einer Woche im Finale von Cincinnati nach zweiten Aufschlägen von Novak Djokovic ans Netz. "Chip and Charge" nennt sich diese Taktik. Direkt mit dem Rückschlag angreifen. Eine Variante, die fast schon in Vergessenheit geraten war. Stefan Edberg, 1996 zurückgetreten, war einst ein Könner darin. Seit Anfang 2014 ist der Schwede Federers Coach.

Immer wieder sucht der Schweizer, mittlerweile 34-jährig, neue Möglichkeiten, sein Spiel mit viel Fantasie weiter zu veredeln. Dass sein neuester Trick noch vor seinem Auftaktmatch bei den US Open in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch für einen derartigen Wirbel sorgt, erstaunte den Tennis-Magier allerdings auch selbst.

Der Experte der New York Times schlug sogar vor, den vom Schweizer als Return geschlagenen Halbvolley von der T-Linie nach seinem Erfinder zu benennen: "Federer" soll der Schlag heißen, der dem Weltranglisten-Zweiten den Weg zu seinem 18. Grand-Slam-Titel ebnen könnte. Und das am besten schon in Flushing Meadows – bei jenem Turnier, das Major-Rekordgewinner Federer von 2004 bis 2008 fünfmal en suite gewonnen hat. Er will zum großen Rätsel für den topgesetzten Favoriten Djokovic werden. "Es geht darum, dem Gegner Frage um Frage zu stellen", sagte Federer. Der überzeugende Erfolg in Cincinnati, mit Siegen gegen Andy Murray und eben Djokovic, gab ihm Rückenwind.

"Roger spielt sehr, sehr schnell und kommt bei fast jeder Gelegenheit ans Netz. Dadurch bringt er seine Kontrahenten unter Zeitdruck", sagte Djokovic und lobte: "Roger setzt diese neue Tak- tik super um." Die italienische Zeitung Corriere della Sera titel- te nach dem 87. Turniersieg Federers in Cincinnati fast schon euphorisch: "Federer erfindet einen neuen Schlag."

Aus Spaß probiert

Den Kamikaze-Halbvolley-Return probierte Federer im Training aus. "Erst aus Spaß", dann wieder und wieder. Wohlwissend, dass er auf der Jagd nach weiteren Major-Titeln zurück in die Zukunft muss. "Die Serve-and-Volley-Spezialisten sind einst verschwunden, als die Courts langsamer wurden. Jetzt sind die jungen Burschen da, die von der Grundlinie unglaublich hart schlagen. Ich musste mein Spiel also wieder entsprechend ausrichten", erklärte Federer seine Intention. Bei den langen Grundlinienduellen hat der Schweizer sowohl gegen Djokovic als auch gegen Murray oft das Nachsehen.

Den Traum vom sechsten Triumph in New York, auf der größten aller Tennis-Bühnen, hat die frühere Nummer eins noch nicht aufgegeben. Obwohl Federers jüngster Major-Erfolg bereits mehr als drei Jahre zurückliegt (Wimbledon 2012). Djokovic jedenfalls traut Federer, der zum Auftakt auf den Argentinier Leonardo Mayer trifft, weitere Coups zu. "Er ist fit und nach wie vor eine große Herausforderung für jeden Gegner." Auf Federer könnte Djokovic, der in der Nacht auf Dienstag (nach Blattschluss) gegen den Brasilianer Joao Souza spielte, erst im Endspiel treffen. Im Finale von Wimbledon musste sich Federer heuer Djokovic geschlagen geben. Aber da griff er noch nicht auf den "Federer" zurück. (sid, rie – 31.8. 2015)