"Chemtrails" haben sich in den letzten Jahren zu einer der beliebtesten und populärsten Verschwörungstheorien entwickelt. Unser Himmel würde vergiftet, so die Chemtrail-Fans: Überall auf der Welt würden Flugzeuge verschiedenste Giftstoffe in der Atmosphäre ausbringen. Darüber, warum das passiert und vor allem, wer dafür verantwortlich ist, sind sich allerdings auch die Anhänger der Verschwörungstheorie nicht ganz einig. Aber genau das macht die Sache mit den Chemtrails ja so populär. Jeder kann sich seinen Lieblingsfeind als Verursacher vorstellen.

Umweltschützer beschweren sich über den chemischen Eingriff in die Luft. Friedensaktivisten sehen die angebliche Manipulation der Atmosphäre als Teil eines globalen und geheimen "Wetterkrieges" zwischen den Großmächten der Welt. Linke Antiamerikanisten haben die USA als Macht hinter den Chemtrails identifiziert, die damit das Weltklima verändern, die Menschen mit Krankheiten infizieren oder gar heimlich impfen wollen. Rechte Antisemiten wärmen ihre uralten Thesen einer geheimen jüdischen Weltregierung wieder auf, die nun eben mittels Chemtrails in das Schicksal der Menschen eingreift, und mit der Ausbringung von Giftstoffen die Bevölkerung reduzieren oder aber zumindest ihr Bewusstsein manipulieren will.

Alle sind beteiligt an der Vergiftung des Himmels

Auf den einschlägigen Internetseiten, wie beispielsweise der deutschen Bürgerinitiative "Sauberer Himmel", findet man eine lange Liste von angeblich an der Verschwörung beteiligten Organisationen, die von Geheimdiensten, Banken und Bilderbergen bis hin zu UNO, NATO und NASA reicht. Bei der Organisation "Sauberer Himmel über Österreich" bleibt man dagegen vage und spricht nur von den "Feinden der Menschheit", die einen "Krieg gegen die Mehrheit der irdischen Bevölkerung" führt.

Unabhängig von Zweck oder Urhebern der Chemtrails sind sich die Verschwörungstheoretiker aber auf jeden Fall bei einer Sache einig: Man muss nur zum Himmel sehen um die Wahrheit zu erkennen! Die weißen Streifen, die hinter vielen dort fliegenden Flugzeugen erscheinen, können auf keinen Fall natürlich sein. Sie würden sich ganz anders verhalten als die normalen Kondensstreifen. Und vor allem: Früher gab es so etwas nicht!

Das weiß man zum Beispiel beim "Weather Modification Journal" im Internet: "In meiner Kindheit war dieser dunkelblaue Himmel noch ganz normal, besonders an warmen Sommertagen. Der Himmel war blau und Wolken hatten grundsätzlich rundliche Formen. Heute sind sie eben auch viereckig und rechteckig. Sie fangen an, wo gesprüht wird, so entstehen die geraden Linien der Kunst-Wolken. Diese künstliche graue tiefhängende Chemiedecke, die den ganzen Himmel zuzieht, gibt es erst seit wenigen Jahren (seit 2012). Und seit circa einem Jahr etwa haben wir diesen ewigen Hochnebel, der sich erst zu Mittag auflöst, welcher ebenfalls künstlich erzeugt ist. Das sind meines Erachtens militärische Experimente zur Abwehr modernster Waffentechnologien."

Parlamentarische FPÖ-Anfrage zu Chemtrails

Es sind aber nicht nur irgendwelche Leute in obskuren Ecken des Internets, die sich Sorgen über eine geheime Manipulation unseres Himmels machen. Der FPÖ-Politiker Norbert Hofer, heute immerhin Dritter Nationalratspräsident, ist in einer parlamentarischen Anfrage vom 6. September 2013 ebenfalls der Meinung, die Wolken am Himmel wären nicht normal, und hat dafür sogar eine (vorgeblich) wissenschaftliche Begründung parat: "Die in der Umgangssprache als 'Chemtrails' bezeichneten künstlichen Schlieren am Himmel, die an Sprühtagen deutlich zu beobachten und von den normalen Kondensstreifen ganz klar zu unterscheiden sind, bestehen hauptsächlich aus einem Gemisch von Aluminiumpulver und dem wassersuchenden Bariumsalz. Zusammen bilden sie ein elektrisches Feld. Ein Polymer-Gemisch dient als Trägersubstanz und gewährleistet die Bindung des Bariums und Aluminiumpulvers in der Luft. (...) Nach den Sprühtagen sinkt in der Regel die Temperatur und der Himmel bleibt für einige Tage ungewöhnlich trübe. In dieser Zeit bleibt es meistens regenfrei."

Vielleicht wäre es gut gewesen, sich hier zuerst mit echten Wissenschaftern zu beraten, die Herrn Hofer dann erklären hätten können, dass man kein elektrisches Feld erzeugen kann, indem man irgendwelche elektrisch neutralen Substanzen in den Himmel sprüht. Man hätte auch einfach mal die Meteorologen fragen können. Die hätten Herrn Hofer dann vielleicht die Grundlagen der Wolkenbildung nahegebracht, und ihm dargelegt, dass die hinter den Flugzeugen entstehen Schlieren sich genauso verhalten, wie Wolken das eben tun, und sich je nach Wetterlage schnell auflösen, oder eben auch lange bestehen bleiben. Dass der Himmel heute nicht mehr oder weniger blau als früher ist, und, dass zwar das Ausmaß des Flugverkehrs zugenommen hat, Kondensstreifen aber immer noch Kondensstreifen und damit ganz normale Wolken sind.

"Neonazis und Verrückte"

Aber wissenschaftliche Fakten und rationale Erklärungen helfen bei Verschwörungstheorien meist nicht viel. Die Diskussion wird emotional geführt und endet oft aggressiv. Der deutsche Wetterexperte Jörg Kachelmann lieferte sich beispielsweise einen längeren Rechtsstreit mit den Chemtrailanhängern, da er sie in einem Interview als "Neonazis und Verrückte" bezeichnete, was ihm ein Gericht dann aber unter Verweis auf die Meinungsfreiheit schließlich erlaubte. Zumindest in Deutschland hat Kachelmann damit wohl nicht ganz Unrecht: Hier ist es die rechtsextreme NPD, die das Thema immer wieder in den Landesparlamenten behandelt sehen will, in denen sie vertreten ist. Unter anderem, so der mittlerweile verstorbene NPD-Abgeordnete Winfried Petzold, weil dadurch die "nationale Souveränität" Deutschlands bedroht werde.

Der große Erfolg der Chemtrail-Verschwörung ist wohl der geschickten Vermischung von Alltag und Bedrohung zu verdanken. Etwas so normales wie das Wetter wird zur Grundlage einer großen Gefahr für jeden Einzelnen erhoben. Dazu kommt die Ausnutzung des allgemeinen Unbehagens der Menschen gegen "die da oben", das sich dank der Vagheit bezüglich der Urheber der Verschwörung wunderbar gegen den jeweiligen Lieblingsfeind richten lässt. Dank der Chemtrails kann man die Verantwortung für so gut wie jedes Problem auf so gut wie jeden abwälzen.

Raucher als Widerstandskämpfer gegen Chemtrails

Das kann am Ende dann auch so richtig obskur werden (bzw. noch obskurer als es die ganze Sache sowieso schon ist). Bei Recherchen zum Thema bin ich auf erstaunlich viele Kommentare und Videos gestoßen, die sich mit einer Verbindung zwischen Chemtrails und Rauchverboten beschäftigen. Denn, so die Vertreter dieser ganz speziellen Verschwörungstheorie, Rauchen ist in Wahrheit gar nicht gesundheitsschädlich. Das Nikotin würde einen "Schutzfilm" über der Lunge bilden, die sie unter anderem vor den mittels Chemtrails ausgebrachten Giftstoffen schützt. Dass Regierungen überall auf der Welt Rauchverbote erlassen und sich bemühen, möglichst viele Menschen zu Nichtrauchern zu machen, sei nur eine weitere Folge der großen globalen Verschwörung. Erst wenn wirklich alle das Rauchen aufgegeben haben, könnten die Chemtrails ihre volle Wirkung entfalten.

Raucher sind in diesem Weltbild also regelrechte Widerstandskämpfer gegen die geheime Weltregierung, die unsere Gesundheit aus düsteren Motiven beeinflussen möchte. Und irgendwie scheinen auch die elektronischen Zigaretten in der ganzen Sache mit drin zu stecken. Ob die nun allerdings ebenfalls vor bösen Chemtrailgiften schützen oder aber ein weiteres perfides Experiment der Anti-Raucher/Chemtrail-Verschwörung sind, in dem die Menschen die Rolle der Flugzeuge einnehmen und nun selbst giftige Chemiewolken in die Luft pusten: Darüber ist man sich noch nicht ganz einig.

Es ist auf jeden Fall alles sehr verwirrend. Aber vielleicht war ich in letzter Zeit auch einfach nur zu oft an der "frischen" Luft und SIE haben mittlerweile auch mein Bewusstsein erfolgreich beeinflusst... (Florian Freistetter, 1.9.2015)