Die Skyline von Hongkong.

Foto: Heidrun Kraft

Abseits der pulsierenden Stadt gibt es Strände ...

Foto: Heidrun Kraft

... sowie einige Country Parks.

Foto: Heidrun Kraft

Als ich vor 17 Jahren das erste Mal nach Hongkong reiste, hätte ich es, wie viele andere asiatische Städte, nicht einmal auf der Landkarte gefunden. Aber ein Praktikum in Sri Lanka hatte mein Interesse an Südostasien geweckt. Ich wollte nach meinem Studium arbeiten und "die Welt sehen". Daher kam mir das Jobangebot der Society for the Prevention of Cruelty to Animals (SPCA) sehr entgegen.

Vom ersten Eindruck in Hongkong war ich überwältigt. Es war heiß, feucht, laut, es roch komisch, und überall blinkte es. Für meine Sinne ein Schock. Hongkong hat sieben Millionen Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 6.500 Einwohnern pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: Österreich hat 100 Einwohner pro Quadratkilometer.

Da Hongkong aus vielen Inseln besteht und Bauland begrenzt ist, wird in die Höhe gebaut. Das hat einerseits eine sehr schöne Skyline zur Folge, andererseits sehr engen Wohnraum, der zu horrenden Preisen angeboten wird. Besonders auf der Hauptinsel Hongkong Island und auf der Kowloon Peninsula drängen sich die Häuser dicht aneinander, und die Menschen kriechen wie Ameisen durch die engen Straßenschluchten.

Leben auf dem Land

Aber Hongkong hat auch eine andere Seite, eine sehr grüne sogar: 70 Prozent bestehen aus Country Parks, aus Hügeln, Bergen, Wäldern und Küsten. Die New Territories und die unzähligen vorgelagerten Inseln bieten reichlich Möglichkeiten, dem hektischen Leben der Stadt zu entfliehen und die Natur zu genießen. Vor zwei Jahren bin ich mit meiner Familie nach Sai Kung (New Territories East) aufs Land gezogen. Hier leben wir in einem kleinen Dorf direkt neben einem Fluss, schauen von unserem Fenster aus ins Grüne und zählen Schlangen, Wildschweine und Kühe zu unseren Nachbarn. So kann unsere Tochter die Vorzüge einer Dorfkindheit erleben, lernt aber auch die Vorteile kennen, die eine Weltstadt zu bieten hat: mehrere Sprachen und viele unterschiedliche Kulturen.

Aber auch hier auf dem Land lebt man auf engem Raum, da es in Hongkong mit den Baugenehmigungen etwas anders läuft als in Österreich oder Deutschland. Während daheim von der Hausform über das Dach bis zum Gartenzwerg alles geregelt wird, bekommt man hier den Eindruck, jeder baut, wie es ihm gefällt. Ob Einsatzkräfte einen Zugang zu den Häusern finden, scheint bei der Bauplanung keine Rolle zu spielen. Die Dörfer wirken oft wie hingeworfen, und Dinge, die sie zu einem wohnlichen Raum machen könnten, etwa kleine Grünanlagen oder Spielplätze, sind nur selten anzutreffen.

Auch scheint es keine wirkliche Mietregulierung zu geben, Verträge werden meistens auf zwei Jahre ausgestellt, und sehr oft wird dann die Miete um zehn bis 20 Prozent angehoben, sodass man sich gezwungen sieht, immer wieder umzuziehen. Das kostet Nerven und trägt nicht dazu bei, Wurzeln zu schlagen. Wir haben uns allerdings damit arrangiert.

Kinder werden gefördert

Ein Kind in Hongkong aufzuziehen hat auch seine Vorteile, denn Hongkong ist eine sehr sichere Stadt. Es gibt außerdem hervorragende Schulen, die international geschätzte Abschlüsse in einem multikulturellen und multilingualen Umfeld anbieten. Da hat man die Qual der Wahl.

Dem Förderungswillen oder auch Förderungswahn der Eltern sind praktisch keine Grenzen gesetzt: Mandarinkurse für Babys, Klavier- und Geigenstunden für Dreijährige, Tennisstunden für Kinder, die kaum stehen können, sind hier an der Tagesordnung. Eltern, die sich mehr Bodenständigkeit bei Kindern wünschen, können relativ rasch mit dem Bus oder der U-Bahn in einen der Country Parks oder an einen der vielen Strände fahren.

Nannys unterstützen Eltern

In Hongkong bekommen Frauen zehn Wochen Karenz, die zu 80 Prozent bezahlt wird. Gesetzlich vorgesehen ist sogar, dass Frauen vier Wochen vor dem Geburtstermin und sechs Wochen nach der Geburt in die Karenz gehen. Danach wird wieder gearbeitet. Die meisten Frauen gehen aber relativ spät in Karenz, damit sie nach der Geburt mehr Zeit haben. Ich hatte Glück und habe noch zusätzlich sechs Wochen unbezahlten Urlaub von meiner Arbeitgeberin genehmigt bekommen. Der Vater erhält drei Tage "paternity leave", die in der Regel zu 80 Prozent bezahlt werden.

Da Großeltern meistens nicht in den Vororten leben und Tagesmütter und Kinderbetreuungseinrichtungen fehlen, gibt es die "Helpers", auch Amahs oder Nannys genannt. Man findet problemlos eine geeignete Nanny. Wir haben unsere von Freunden übernommen. Sie lebt seit der Geburt unserer Tochter bei uns. Es war anfangs nicht leicht mitanzusehen, wie eine fremde Frau das eigene Kind herzt. Aber wenn ich dann das zufriedene Gesicht meiner Tochter sehe, kann ich beruhigt zur Arbeit gehen.

Doppeleinkommen unverzichtbar

Hier ist es normal, dass beide Eltern arbeiten gehen. Mütter müssen sich also keine Kommentare anhören, warum sie ihr Kind allein lassen oder warum sie Karriere machen, wenn sie doch Kinder haben. Die hohen Lebenshaltungskosten machen in der Regel ein Doppeleinkommen unverzichtbar. Auch das wirkt sich oft vorteilhaft auf die Erziehung des Kindes aus, da es relativ früh lernt, sich auf verschiedene Personen und Sprachen einzustellen. Da meine Tochter es nicht anders kennt, ist es für sie normal. Sie wünscht mir einen schönen Tag, wenn ich das Haus verlasse.

Hongkong ist unser Zuhause geworden, wohl auch wegen der Gegensätzlichkeiten: auf der einen Seite eine pulsierende Großstadt und boomende Wirtschaftsmetropole, auf der anderen Seite Familienleben auf dem Land inmitten fast unberührter Natur. (Heidrun Kraft, 3.9.2015)