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Österreich, eines der reichsten Länder der Welt, ist von 28.311 Asylwerbern im ersten Halbjahr überfordert, von denen ohnehin nur 30 bis 40 Prozent Asyl gewährt wird?

FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET

Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Als einer der Gründe für den Beschluss wird in der Präambel angeführt, dass "die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen". Der berühmte Artikel 1 lautet: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine ganze Reihe von Personen auf nationaler und internationaler Ebene den zitierten Artikel 1 nicht wirklich ernst nimmt, und orte "die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte" und "Akte der Barbarei".

Nein, man kann nicht über alles diskutieren. Man kann nicht über die humanitäre, gesetzliche und völkerrechtliche Verpflichtung diskutieren, Anspruchsberechtigten politisches Asyl zu gewähren und sie menschenwürdig zu behandeln.

Nein, diese Menschen sind keine "Sozialschmarotzer". Asylwerber erhalten keine bedarfsorientierte Mindestsicherung, sondern werden ab Zulassung ihres Asylantrags in die Grundversorgung aufgenommen. Diese Betreuung endet, wenn das Verfahren in Österreich rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Grundversorgung beinhaltet Unterkunft (meist in Asylheimen), Verpflegung, 40 Euro Taschengeld im Monat, Krankenversicherung, Fahrtkostenersatz (zum Beispiel für Behördengänge oder Schulbesuch), Kleidung und Beratung. Ein Arbeitseinkommen führt zum Ausschluss aus der Grundversorgung.

Ja, die Zahl der Flüchtlinge ist massiv angestiegen. Im ersten Halbjahr 2014 wurden 9.047 Asylanträge gestellt, im ersten Halbjahr 2015 waren es mehr als dreimal so viele (28.311). Im selben Zeitraum fällte das dafür zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl 17.472 Statusentscheidungen nach dem Asylgesetz. In 34 Prozent der Fälle wurde Asyl gewährt.

Ja, das erfordert dringend Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene – und damit meine ich keine Grenzzäune wie in Ungarn, sondern Ursachenbekämpfung, Schutzzonen und Asylzentren in den Herkunftsländern beziehungsweise angrenzenden Staaten mit der Möglichkeit eines Asylantrags, einheitliche, menschenwürdige EU-Standards bei Asylverfahren etc.

Ob die EU das umsetzen wird, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass wir an einem Scheideweg stehen. Der Umgang mit dieser Herausforderung stellt die Weichen dafür, ob die Zukunft Europas in einem Bündnis von Staaten liegt, die auf den Ideen der Aufklärung beruhen, oder ob wir wieder zu einem Europa zurückkehren, das von Nationalismen geprägt ist.

Nein, wir können nicht warten, bis diese Entscheidung gefällt wird, und nein, wir stehen nicht vor unlösbaren Problemen. Österreich ist von 28.311 Asylwerbern im ersten Halbjahr überfordert, von denen ohnehin nur 30 bis 40 Prozent Asyl gewährt wird? Und das behauptet eines der reichsten Länder der Welt, in dem es 114.200 Millionäre gibt, wie erst im Juni in den Medien zu lesen war?

Die Sentenz "Homo homini lupus" ("Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf") ist durch den englischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes bekannt geworden. Hobbes gebraucht diese Worte in seinem 1642 erschienenen "De cive" nicht, um das Verhältnis der Menschen zueinander zu charakterisieren, sondern um das Verhältnis zwischen den Staaten zu beschreiben. Hier müssten "selbst die Guten bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und die List, das heißt die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen." Wenn man allerdings das Verhältnis der Bürger innerhalb eines Staates betrachtet, so "nähert man sich dort durch Gerechtigkeit, Liebe und die Tugenden des Friedens der Ähnlichkeit mit Gott".

"Der Mensch ist dem Menschen Gott" – "Homo homini Deus": Auch das liest man bei Hobbes. Mögen diese Worte in Erfüllung gehen! (Eckehard Quin, 31.8.2015)