Maria Saal / Wien – Dietmar Hauer bereut nicht. Er hätte es sich leichter machen können. Er hätte spuren können. Er hätte noch erfolgreicher werden können, als er es war. Dietmar Hauer wollte es sich nicht leichter machen. Er wollte nicht spuren. Er kann gut damit leben. "Ich kann mich in den Spiegel schauen", sagt Hauer (47), Niederösterreicher, wohnhaft in Maria Saal in Kärnten, verheiratet, Vater dreier Kinder (neun, sieben, fünf), HTL-Lehrer in Klagenfurt.
"Ich war ein Revoluzzer", sagt Hauer. Er spricht über seine Karriere als Radrennfahrer. Die dauerte nicht sehr lange, war aber durchaus von Erfolg gekrönt. Zweimal (1988 und 1990) gewann er die Österreich-Rundfahrt. 1992 siegte er nicht, sorgte trotzdem für Aufsehen. Auf der achten Etappe fuhr der Pole Grzegorz Piwowarski den Favoriten auf und davon und schlüpfte ins gelbe Trikot. Österreicher und Slowenen waren sich uneins und fuhren nicht nach. Hauer äußerte seinen Unmut über Coach Gerd Müller daraufhin im ORF-Interview: "Unser Nationaltrainer hat überhaupt keine Ahnung vom Radfahren. Ich glaube, es ist am besten, wenn man ihn sofort wieder nach Hause schickt. Wenn man eine Mannschaft zurückhält, sodass das Loch aufgeht, hat das überhaupt keinen Sinn."
Die Aussage blieb nicht ohne Folgen. Hauer wurde für drei Monate gesperrt. Heute sagt er: "Ich würde es jetzt so sagen, dass ich nicht drei Monate gesperrt würde." Seine Meinung über den damaligen Trainer hat er nicht geändert. "Er war wirklich unfähig." Müller hätte DDR-Methoden in Österreich anwenden wollen. "Das hat nicht funktioniert." Müller, no na, hatte Hauers Kritik gar nicht getaugt. "Er hat sich ein bisschen sehr danebenbenommen", sagte der Deutsche damals und wies darauf hin, dass Hauer in seiner Laufbahn viele Fehler gemacht hätte. Er sprach damit etwa die Profikarriere des Niederösterreichers an. Die fiel sehr kurz aus.
Kurze Profikarriere
Im Februar 1991 gab der damals 22-jährige Hauer sein Profidebüt für das belgische Tulip-Team. Ende Juni 1991 beendete er das professionelle Intermezzo. "Das hat nichts mit Sport zu tun", sagte er damals. Und: "Ich hätte am Tag 17 Tabletten nehmen sollen." Das war Hauer zuwider. Er wusste nicht, um welche Pillen es sich gehandelt hatte. "Mir wurde gesagt, es seien harmlose Vitamine." Die meisten dieser "Vitamine" schluckte Hauer, wie er sagt, nicht. Hauers Schlüsselerlebnis war nach einem Rennen in Belgien. Der Masseur habe ihm gesagt: "Nimm diese Tablette. Du musst zur Dopingkontrolle." Hauer nahm sie, der Test fiel negativ aus. Es folgte ein Leistungsabfall. "Mit dir stimmt etwas nicht", wurde dem Sportler gesagt. Der Teamarzt gab ihm daraufhin Spritzen, die sich Hauer selbst hätte verabreichen sollen. Hauer: "Das habe ich nicht gemacht."
Er entschied sich für die Gesundheit, gegen die große Karriere. Hauer ließ sich reamateurisieren. Keine unkomplizierte Sache. Aber es klappte schließlich. Freilich, "die Motivation war weg". Den einen oder anderen Erfolg verbuchte er trotzdem noch. 1993 etwa gewann der Berg- und Zeitfahrspezialist die Kärnten-Rundfahrt. Bis 1994 fuhr er Radrennen. Dann war Schluss. Mit gerade einmal 26. 1996 maturierte er an der Abend-HTL in Klagenfurt. Im selben Jahr begann der gelernte Tischler ebendort zu unterrichten. Später absolvierte er noch die Pädagogische Akademie und ein Maschinenbau-Studium. Der Job an der HTL, sagt Hauer, "ist genau mein's. Ich wollte nie eine Schreibtischtätigkeit. Ich brauche Abwechslung."
Auf seine Radsportkarriere wird er immer wieder angesprochen. "Das erstaunt mich." Mit der Szene hat er heute aber nichts mehr zu tun. Kein Kontakt zu Ex-Kollegen. "Ich habe so abrupt aufgehört. Das hat sich nicht ergeben." Kein Besuch von Rennen. Selbst Fernsehsport betreibt er kaum. Heuer schaute er erstmals seit längerem wieder ein paar Tour-de-France-Etappen.
Das Buch im Schrank
Hauer wurde nie gefragt, ob er einen Trainer- oder Funktionärsposten übernehmen wollte. "Ich weiß nicht, ob ich zugesagt hätte", sagt er. Mit Funktionären hatte Hauer zeit seiner Laufbahn Probleme. "Ein Funktionär sollte Diener des Sportlers sein", sagt Hauer. Es kam ihm eher umgekehrt vor.
Dass der Radsport heute sauber ist, glaubt Hauer keineswegs. Die Bemühungen des Weltverbandes in der Doping-Bekämpfung seien "Alibi-Geschichten. Die Jäger sind den Sündern immer hinterher." Dass Spitzensport ohne Doping möglich ist, glaubt er dennoch. Darüber hat er sogar ein Buch geschrieben. "Es steht seit vier Jahren in meinem Schrank. 300 Seiten." Auf den Markt kam es nie. Hauer fand keinen Verleger. "Zu teuer" oder "nicht unsere Richtung" hörte er etwa als Begründung. "Das war deprimierend", sagt er. Aber er hat es abgehakt. Genauso wie seine sportliche Laufbahn und deren frühes Ende. Trotz der negativen Erfahrungen blickt er nicht im Groll zurück. "Der Sport hat mir immer sehr gut gefallen. Wir Fahrer hatten untereinander Spaß. Ich möchte es nicht missen."
Auch nicht die Erfahrung des Ironman 2006 in Kärnten. In ansprechenden 9:27 Stunden absolvierte er den Triathlon. Ein Jahr investierte er für dieses Projekt. Dann war Schluss mit der Quälerei. Heute betreibt Hauer "mäßig" Sport. "Wenn ich Zeit oder Lust habe, fahre ich Mountainbike." Das sei etwa zehnmal im Jahr.
Als junger Sportler sagte Hauer einmal, sein größter Wunsch sei es, ein glücklicher Mensch zu werden. Und? "Das bin ich. Das ist mir gelungen." (Birgit Riezinger, 31.8.2015)